Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
Vom Netzwerk:
Ampel auf Grün wartete, dachte er eine Minute lang daran, nicht zurückzukehren. Ein dummer Gedanke, aber erregend, ihn zu denken.
    Als er wiederkam, saß Anna auf der Couch und sah sich eine Abend-Talkshow an. Sie rauchte eine Zigarette.
    «Ich wusste gar nicht, dass du rauchst.»
    «Nur gelegentlich.»
    Auf dem Bildschirm plauderte eine kichernde blonde Filmdiva mit dem Moderator belustigt über ihre Highschooljahre als dicke Nudel.
    «Du hast lange geraucht», schob Anna nach.
    «Wirklich?»
    «Du hast aufgehört, als du anfingst zu unterrichten. Es war sehr sexy. Du nahmst immer so tiefe Züge.» Sie machte ihn nach, indem sie kräftig Rauch einsog, blinzelte und ihn dann aus dem Mundwinkel blies. «Alle deine Jeans hatten ein abgewetztes Viereck hinten auf der rechten Tasche.»
    Samson sah sich auf einem glänzenden schwarzen Motorrad mit Teardrop-Tank, eine lässig wippende Zigarette zwischen den Lippen. «Bin ich Motorrad gefahren?»
    Anna sah ihn seltsam an. «Nein.»
    Sie hielt ihre Zigarette locker zwischen zwei Fingern. Es erstaunte ihn, wie leicht sie mit den Dingen umging, wie selbstverständlich sie ihr Leben mit den Hunderten von Gegenständen, die ihr in die Hände kamen, teilte.
    «Wie fühlst du dich, Samson?» Sie zog die Knie an die Brust, legte den Kopf darauf und sah ihn an.
    «Ganz gut.» Er lächelte schwach. «Und du?»
    «Einsam.»
    «Tut mir Leid», sagte er, streckte die Hand nach ihrem Knöchel aus und rieb den schmal gestreiften Gummiabdruck ihres Söckchens.
    «Du kommst mir so weit weg vor.»
    Samson nickte.
    «Empfindest du das auch so?», fragte sie.
    «Weit? Nein. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Als wäre ich …»
    «Was?»
    «Da. Bei mir selbst.»
    «Aber du bist nicht du. »
    «Ich fühle mich aber so.»
    Ihr Gesicht verzerrte sich, und er glaubte, sie würde anfangen zu weinen.
    « Bitte », flüsterte sie, die Knie hin und her wiegend. «Es kann immer noch wiederkommen. Es muss wiederkommen.»
    «Anna …»
    «Nein. Sag nichts.»
    Er legte die Hände auf ihre Knie und hielt sie behutsam fest.
    «Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, wir sind nur ein Haufen Gewohnheiten», sagte sie. «Die Gesten, die wir dauernd wiederholen, entsprechen nur unserem Bedürfnis, erkannt zu werden.» Ihre Augen fixierten den Fernseher, als läse sie dort Untertitel. «Ich meine, ohne sie wären wir gar nicht identifizierbar. Wir müssten uns andauernd neu erfinden.» Ihre Stimme war sanft, und Samson spürte, dass sie nicht mit ihm, sondern mit dem Mann auf den Fotos sprach.
    Sie atmete aus und ließ die Zigarette in ein Glas fallen, wo sie zischend unterging, und als sie sich zum Zähneputzen erhob, beugte sie sich, verraucht wie ein Nachtklub, dicht über ihn und küsste ihn auf den Nacken. Das Gefühl ihrer Lippen blieb dort haften, während er zusah, wie die blonde Diva aufsprang und dem Publikum eine Kostprobe ihrer Cheerleading-Nummer gab, an die sie sich noch genau erinnerte, weil sie doch so dick, aber trotzdem Cheerleader gewesen war. Der Kuss blieb da, irgendwie heimatlos, ohne ein Sensorium, das ihn als gewöhnliches, tausendfach empfangenes Zeichen der Vertrautheit hätte registrieren und abhaken können. Er wusste, was Anna hatte wissen wollen: ob es möglich sei, einen Menschen ohne Gewohnheiten zu lieben.
     
    Samson spülte das Geschirr, führte Frank spazieren und machte sich auf den Weg zu einer Elf-Uhr-Verabredung mit Dr.   Lavell. Es war halb zehn, doch obwohl er noch reichlich Zeit hatte, hastete er, mit der Menge Schritt haltend, eilig über den Broadway. Die Schaufenster zogen ihn an, aber er fand es peinlich, stehen zu bleiben und zu gucken, den Strom zu behindern und andere zu zwingen, um ihn herum zu gehen. Er imitierte die Zielstrebigkeit dieser Leute, die alle etwas vorhatten, die jederzeit ihre Zukunftspläne skizzieren konnten und über kleine Telefone, die sie wie Walkie-Talkies abhörten, knappe Instruktionen empfingen.
    Es war heiß draußen, und Samson schwitzte schon in seinem Anzug. Er zog die Jacke aus und hielt sie zerknittert an der Seite. Der Bahnsteig in der Subway war ein regelrechter Backofen, verbrauchte Luft, eingeschlossen in unterirdischen Gewölben, großen Wettergeneratoren für die Innenstadt. Er lauschte dem Donnern der Züge, die durch die Tunnels ein- und ausfuhren.
    Unter den UV-Lampen des überfüllten stählernen Waggons wirkten die hilflosen Passagiere wie ein Wurf Mäusebabys. Samson fand einen Sitzplatz neben einem

Weitere Kostenlose Bücher