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Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)

Titel: Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)
Autoren: Nicole Krauss
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ich glücklich? All diese Erinnerungen, die ich gesammelt hatte, weg. Und wenn nur eine hätte bleiben können, welche hätte ich behalten?»
    «Sie sagten, Anna höre auf zu atmen, wenn sie schläft. Und dass Sie dann denken, sie sei ‹so nahe› dran. An was?»
    «Am Vergessen, schätze ich. Wo ich war, als sie mich in Nevada fanden. Und jetzt bin ich von dort zurück und kann nie wieder derselbe sein.»
    «Wie war es, dieses Vergessen?»
    Samson zuckte die Achseln. «Ich erinnere mich nicht.»
    «Denken Sie nicht manchmal, es könnte Leute geben, die Sie beneiden?»
    «Die müssten verrückt sein.»
    «Na schön, und wie wäre es damit: Wenn Sie Ihr Gedächtnis auf der Stelle wiederhaben könnten, würden Sie es nehmen?»
    «He, auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?», fragte Samson. Um das Thema zu wechseln, erzählte er Lavell von dem Artikel über das Klonen, den er morgens in der Zeitung gelesen hatte. Als Junge hatte die Wissenschaft ihn immer angezogen, die Entdeckung wundersamer Dinge, der Wettlauf um neue Erkenntnisse über die Erde, die Menschen, den Himmel. Auch jetzt faszinierte ihn der Gedanke, dass man vielleicht in fünfzig oder hundert Jahren jedes Neugeborene würde klonen können. «Einen Ersatz», sagte er, «für den Fall, dass etwas Tragisches passiert.»
    Lavell zog eine Augenbraue hoch.
    «Im Ernst. Sie könnten den Ersatz irgendwo draußen auf einer Art Farm halten, nur mit etwas Sport und frischer Luft, damit er fit ist, wenn er gerufen wird. Und eines Tages ist es dann so weit – ein Flugzeugabsturz, Krebs oder ein Skiunfall.» Samson dachte eine Sekunde nach. «Alles, außer Selbstmord, denn Selbstmord würde das Ende bedeuten, das Original wollte Schluss machen und basta.»
    «Er wird also gerufen.»
    «Ja, und jetzt haben wir ein Problem, nicht wahr, weil der Ersatz vom Leben des Originals keine Ahnung hat. Also gut, mag sein, er hat in Fortsetzungen, die ihm jeden Monat auf die Farm geliefert wurden, darüber gelesen. Trotzdem, die intimen Dinge kennt er nicht.»
    «Die Kosenamen, die das Original seiner Frau zugeflüstert hat?»
    «Solche Sachen, ja. Es sieht so aus, als könnte das Klonen ein totaler Reinfall werden, und was dann, was tun die Wissenschaftler dann?
    Er hielt Lavells Blick eine Runde lang stand wie ein Bühnenkünstler, ein Stegreifkomiker, Trommelwirbel bitte.
    «Sie entwickeln eine Möglichkeit, dem Original das Gedächtnis wie eine Schublade herauszuziehen und es in den Ersatz zu schieben. Das ganze Ding, sämtliche Lebenserfahrungen, alles. Na bitte. Den Typen könnte niemand mehr vom Original unterscheiden, höchstens physisch, weil er nicht dieselben Narben hat.» Samson setzte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er freute sich über die Idee, freute sich über die plötzliche Leichtigkeit des Redens, wenn nicht er selbst das Thema war.
    «Ein interessanter Vorschlag. Ich kenne tatsächlich einen Arzt, der an so etwas arbeitet. Nicht am Klonen, sondern an der Sache mit dem Gedächtnis. Daran, Erinnerungen von einem Gehirn in ein anderes zu verpflanzen und so weiter. Ein ziemliches Vorhaben, wenn Sie mich fragen. Aber zurück zu Ihrem Szenario. Ich frage mich rein theoretisch, was passieren würde, wenn das Gedächtnis des Originals, wie in Ihrem Fall, beschädigt ist?»
    Samson dachte kurz nach. «In diesem Fall müsste ich, das Original, meine Rolle als Schlüsselfigur aufgeben, der Ersatz träte in den Vordergrund und hätte seine Sternstunde.»
    «Das Gedächtnis verlieren hieße also, die Stellung als Original einbüßen?»
    «Richtig.»
    Die Tür zu Lavells Büro öffnete sich quietschend, und der leutselige Asiate steckte den Kopf herein. Als er sie sah, verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen, und er schien etwas sagen zu wollen, besann sich aber eines Besseren und schloss die Tür.
    «Es gibt zwei Lionel-Richie-Songs, die er laufend singt. Bitten Sie ihn, Say You, Say Me zu singen, wenn Sie gehen.»
    Auf dem Weg nach draußen kam Samson an Marietta vorbei, die im Foyer vor dem Fernseher saß und in ihrer Pantomimensucht die Schauspielkünste einer Seifenoper imitierte. Der Asiate wollte nicht Say You, Say Me singen, sondern schmetterte stattdessen, von Handbewegungen begleitet, in bebendem Falsett: Hello, is it me you’re looking for?

D ie Tage vergingen. Jeden Tag riss Anna ein Kalenderblatt ab, und später holte Samson das Blatt wieder aus dem Müll. Schließlich konnte er sie wie Briefe bündeln.
    Nachdem er die
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