Kommt ein Mann ins Zimmer (German Edition)
Strapazierfähigkeit getestet werden sollen. Dazu eine Hand voll Kaninchen für die Wissenschaft in ihrem ständigen Bemühen, die Erblindungseffekte der Leuchtkraft zu erforschen.
Noch fünfzehn Minuten bis zum Countdown. Fünfzehn Minuten, um an Vegas zu denken, an die Zeit, da wir Ike die Hand schüttelten, an Schlagzeuger wie Krupa, die in den Big Bands spielten und mit Feingefühl die Trommeln rührten, sie zum Sprechen brachten, ohne auf sie einzudreschen, an die sanfte Klaviermusik in den Clubs in Kalifornien. Fünfzehn Minuten für noch eine Chesterfield, oder um geistesabwesend mit den Fingern kleine Löcher in die Grabenwand zu bohren. Tausend Gedanken, der reduzierte Querschnitt eines Augenblicks in Amerika. Unsere Helme schief, noch nicht zugeschnallt. Die Drillichhosen steif vor Neuheit. In glühender Pracht geht die Sonne auf, als müsste sie die Wüste erst erfinden. Zwei Minuten für die Zeitungsleute, sich auf ihren Sitzen am Kontrollpunkt einzurichten, Männer in Anzügen, mit Tickets unter den Hutbändern, die dies niemandem berichten würden.
Tausend Mann, die Arme vor den Augen verschränkt wie Mädchen im Kino, auf den verstärkten Ton einer einzigen, von zehn rückwärts zählenden Stimme konzentriert. Es ist Juni 1957, und der Countdown ist noch kein Synonym für Raketenabschüsse geworden, mit denen Astronauten aus der Erdatmosphäre hinaus ins All befördert werden.
Und dann ein Geräusch, wie wir es noch nie gehört haben. Eine Art Maximum an Lautstärke. Sogar mit geschlossenen Augen sehen wir das gleißende weiße Licht der Explosion, viermal so stark wie die von Nagasaki, so hell, dass keine Schatten fallen. Wir zählen bis zehn und öffnen die Augen, und was wir sehen, ist das Blut, das durch unsere Venen fließt, sind die Skelette der Männer vor uns. Röntgenbilder von tausend GIs, ihre Knochen wie eine Diashow in der Wüste. Scharf zeichnen sich die Yuccabäume ab, die Berge sind Aluminium.
Die Lautsprecher brüllen, wir sollen aufstehen, und wir erheben uns, betäubt, bewegen uns, ohne zu denken, außer den Jungs, die ganz unten sind, weinend und betend. Wir richten uns auf und werden von einer Stoßwelle heißer Luft erfasst, als würden uns die Köpfe abgerissen. Sie schmettert uns zurück, der Boden neigt sich. Wir sind zu sehr in Panik, um uns nach der Logik der Befehle zu fragen. Wir gehorchen, weil es der einzige Weg ist, lebend durchzukommen.
Die Luft ist schwärzer als der Jüngste Tag im Comic. Wie soll ich erklären, dass wir das persönlich nahmen?
Eine zweite Wand, eine nahende, leuchtende Flut aus Dreck und Schutt, die all das auf uns niederprasseln lässt, Stöcke und Steine und sonstige Dinge, an die wir jetzt, manche von uns halb begraben, keine Gedanken verschwenden können. Es folgt ein Moment seltsamer Ruhe, wie eine Pause tiefen Respekts, bevor der Chor anhebt zu singen. Dann können wir nicht mehr atmen. Es bleibt keine Luft übrig, als der Druck umschlägt und wieder zum Bodennullpunkt zieht, ruhiger, trauriger jetzt, da die Detonation in sich zusammenfällt, ein Vakuum, das alles aufzusaugen droht. Wir ringen um Atem, jeder für sich allein, während der Schutt sich ablagert, und dann sehen wir es, das, um dessentwillen wir gekommen sind: einen riesigen Feuerball, der hinter der Pilzwolke aufsteigt, als führe der Teufel gen Himmel. Es ist das Schönste, was wir je gesehen haben, im eigenen Blut kochend, steigt er zwölftausend Meter hoch und breitet sich aus, bis er die Sonne verdunkelt, breitet sich als eine Wolke, aus der es Wüstenreste regnet, über unsere Köpfe. Wir können nicht mehr denken. Es ist kein Platz mehr darin für etwas anderes.
Zweiundzwanzig Kilometer entfernt, am Kontrollpunkt, fliegen die Türen aus den Angeln. Die Geigerzähler müssen beruhigt werden wie scheuende Pferde. Auf dem Highway in der Nähe halten Autofahrer am Straßenrand, stehen benommen und blinzelnd neben ihren Kombis und suchen den Himmel nach Außerirdischen ab. Man spürt die Druckwelle in Mercury und in Indian Springs, hört sie wie ein Grollen bis nach Kalifornien und Reno. In Utah fährt Kindern ein heißer Wind durchs Haar, klatscht ihnen die T-Shirts an die Brust, als sie wegrennen und sich unter einem Ascheschauer umdrehen.
Kaum dass es still geworden ist, stehen wir und marschieren vorwärts zum Sturm auf den Bodennullpunkt. Tausend Mann, die Filmplaketten rot angelaufen wie frisch geküsste Mädchen.
Eins
Mai 2000
A ls sie ihn fanden, war er auf
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