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Kon Tiki - Ein Floss treibt über den Pazifik

Kon Tiki - Ein Floss treibt über den Pazifik

Titel: Kon Tiki - Ein Floss treibt über den Pazifik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Hayerdhal
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der im Gefieder der Palmen und im dichten Laubwerk rauschte. Aber immer wieder wurde alles überdröhnt von der heranrollenden schweren Dünung, vom Donnern der Brecher, die sich am Geröll des Strandes in tausend schäumende Wirbel zerschlugen. Das war ein Tosen und Brausen und Versprühen in Millionen glitzernden Tropfen, bis sich die See wieder beruhigte und zurückzog, um sich aufs neue zu sammeln zum nächsten Angriff auf die nie bezwungene Küste.
    »Merkwürdig«, meinte Liv, »auf der anderen Seite der Insel gibt es niemals solche Brandung.«
    »Nein«, sagte ich, »hier ist ja auch die Windseite, da steht die See direkt drauf.«
    Und so saßen wir wieder da und bewunderten das Meer, das anscheinend nicht aufhören wollte vorzuführen, woher es eigentlich kam, hereinrollend von Osten, von Osten, von Osten! Es war der ewige Ostwind, der Passat, der die Meeresfläche aufwühlte, sie vor sich herrollte über den östlichen Horizont herauf, hierher auf die Inseln zu, wo die Wogen sich endlich brachen zwischen Klippen und Riffen, während sich der Ostwind nur ein wenig höher hob und über die Küste, die Wälder und die Berge ungehindert seinen Weg nach Westen fortsetzte, von Insel zu Insel bis gegen Sonnenuntergang. So waren auch seit Anbeginn der Zeiten die leichten Wolkengebilde von Osten her über die Inseln hinweggezogen. Die ersten Menschen, die diese Inseln erreichten, wußten wohl genau, wie es sich damit verhielt, ebenso wußten es Vögel und Insekten. Auch die Vegetation der Eilande war vollständig von diesem Gesetz beherrscht. Es war uns wohl bewußt, daß weit, weit hinter dem Horizont dort im Osten, wo die Wolken aufstiegen,
    Südamerikas offene Küste lag. Es waren achttausend Kilometer bis dahin, achttausend Kilometer nichts als blanke See.
    Wieder verloren wir uns an die treibenden Wolken und an das vom Mondlicht überflutete Meer. Da begann der alte Eingeborene, der halbnackt vor uns hockte und in die sterbende Glut einer kleinen, ausgebrannten Feuerstelle starrte, zu sprechen:
    »Tiki«, sagte der Alte geheimnisvoll, »war Gott und Häuptling zugleich. Tiki war es, der unsere Vorväter auf die Inseln gebracht hat, auf denen wir heute leben. Früher wohnten wir in einem großen Lande weit hinter dem Meer.«
    Er stocherte mit einem Zweig in der Glut, um ihr Erlöschen zu verhindern. In sich zusammengesunken hockte er da und sann, ein uralter Mann, der noch in der Vorzeit lebte und ihr mit allen Fasern seines Wesens verhaftet war. Er verehrte seine Vorväter, wußte um ihr Schicksal bis in die Zeiten der Götter und wartete darauf, sich mit ihnen wieder zu vereinigen. Tei Tetua war der letzte Überlebende von all den ausgestorbenen Stämmen auf Fatuhivas Ostküste. Er wußte nicht, wie alt er war, aber seine runzlige, borkigbraune Haut sah aus, als hätten Sonne und Wind sie in hundert Jahren gegerbt. Er war sicher einer von den wenigen auf diesen Inseln, die sich noch an die Sagen um ihre Väter und Vorväter und den großen polynesischen Häuptlingsgott Tiki, den Sohn der Sonne, erinnerten und daran glaubten.
    Als wir in dieser Nacht in unserem winzigen Pfahlbau in die Koje krochen, spukten die Erzählungen des alten Tei Tetua über die heilige Heimat jenseits des Meeres noch immer in meinem Hirn, in der Ferne begleitet vom dumpfen Getose der Wogen. Es klang wie eine Stimme aus der Urzeit, die uns da draußen in der Nacht etwas erzählen wollte. Ich konnte nicht schlafen. Es war, als ob die Zeit nicht mehr existierte und Tiki und seine seefahrenden Männer gerade an Land gehen wollten, da unten am Strand in der Brandung. Da stürzte plötzlich ein Gedanke auf mich ein:
    »Liv, hast du eigentlich gemerkt, daß die riesigen Steinbilder von Tiki droben im Dschungel auffallend an die mächtigen Steinplastiken in Südamerika erinnern, an diese Reste längst ausgestorbener Kulturen?!«
    Da hörte ich deutlich ein anerkennendes Murmeln von der Brandung herauf. Und dann wurde sie langsam ruhig. Ich schlief ein.
    So fing es vielleicht an. Auf jeden Fall begann so eine Kette von Geschehnissen, die schließlich uns sechs samt einem grünen Papagei auf ein Floß vor Südamerikas Küste brachte.
    Es ist mir heute noch schrecklich, wie ich meinen Vater verärgert und meine Mutter und meine Freunde vor den Kopf gestoßen habe, als ich nach Norwegen zurückkam und meine Sammlungen von Käfern und Fischen von Fatuhiva dem Zoologischen Museum der Universität übergab. Ich wollte meine Tierstudien abschließen

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