KON-TIKI
Behausung auch einmal nachts von draußen zu besehen. Kohlschwarze Wogen türmten sich um uns auf allen Seiten, und eine blinkende Myriade von Sternen lockte ein schwaches Widerblinken vom Plankton auf der See. Die Welt war einfach, Sterne im Dunkel. Ob wir 1947 vor oder nach Christus schrieben, hatte plötzlich seine Bedeutung verloren. Einzig, daß wir lebten, fühlten wir tief und stark. Und uns wurde bewußt, daß die Menschen auch schon vor dem Zeitalter der Technik das gleiche empfunden und getan hatten- in einem noch tieferen Sinne als wir. Die Zeit hörte gleichsam auf zu existieren. Alles wahrhaft Seiende war, wie es immer gewesen und immer sein wurde. Wir waren untergetaucht in dem ewigen Gleichlauf des Geschehens, und nichts war um uns, als ein endloses und unberührtes Dunkel und die flimmernde Sternenwelt über uns. Vor uns in der Nacht hob sich die »Kon-Tiki« aus den Wogen, um wieder zu versinken, wenn schwarze Massen dahertrieben. Im Mondlicht umgab eine wunderliche Stimmung das Floß Schwere blanke Stämme mit Büscheln von Seegras, der viereckige, nachtschwarze Umriß des Wikingersegels eine zerfranste Bambushütte, vom gelben Licht einer Paraffinlampe am Heck bestrahlt. Das Ganze erinnerte eher an ein Bild aus einem Abenteurerbuch, als daß man es für nüchterne Wirklichkeit halten mochte. Ab und zu verschwand das Floß vollständig hinter den dunklen Wogen. Dann hob es sich wieder und zeichnete sich als scharfe Silhouette gegen den Sternenhimmel ab, während blinkendes Wasser von den Stämmen schäumte.
Wenn wir so die zeitlose Stimmung um das einsame Floß verspürten, dann hatten wir manchmal ganze Flottillen von solchen Fahrzeugen beinahe leibhaftig vor Augen, die sich fächerförmig gegen den Horizont verbreiterten, um die Möglichkeit, Land zu finden, zu vergrößern. So waren die ersten Menschen über das Meer gezogen. Gerüchte hatten von Inseln draußen im Stillen Ozean erzählt, und so segelte der Inka Tupak Yupanqui, der sich ganz Peru und Ecuador unterworfen hatte, noch knapp vor der Ankunft der Spanier auf einer Armada von Balsaflößen mit vielen tausend Mann hinaus übers Meer, um nach den Inseln zu suchen. Er fand zwei Eilande, von denen manche meinen, daß es die Galapagosinseln gewesen seien. Nach acht Monaten Fahrt glückte es ihm, mit seinen zahlreichen Ruderern zurück nach Ecuador zu gelangen. Viele Jahrhunderte früher waren Kon-Tiki und sein Gefolge sicher auf gleiche Weise übers Meer gezogen. Sie aber hatten keinen Grund, den Rückweg zu versuchen und ihn gegen Wind und Wogen zu erzwingen.
Oben: Ein Walhai auf dem Weg unter das Floß. Die Spitze der riesigen Rückenflosse ragt noch aus dem Wasser, und weit dahinter erhebt sich die Schwanzflosse in die Luft, während das Untier uns umkreist und dabei das Steuerruder aus dem Wasser hebt. Er ist mit seinen fünfzehn bis zwanzig Metern Länge der größte Fisch der Welt.
Unten: Walbesuch. Solchen bekommen wir öfter, und gegen die größten Exemplare erscheint das Floß jämmerlich klein. Manchmal begleiten sie uns viele Stunden. Aber wenn sie auch oft selbstbewußt blasend auf uns zusteuern, so tauchen sie dann doch im letzten Augenblick, und der Walrücken zieht friedlich unter uns hindurch.
Hau ruck! Das Tauwerk dehnt sich im Sturm und in der Tropensonne, und so müssen die Haltetaue oft nachgezogen werden .
Wenn wir dann wieder an Bord des Floßes sprangen, ließen wir uns oft im Kreis um das Paraffinlicht auf dem Bambusdeck nieder und sprachen über jene alten peruanischen Seefahrer, die fünfzehn Jahrhunderte vor uns gelebt hatten. Das Licht warf Riesenschatten von bärtigen Männern auf das Segel, und wir dachten an unsere Vorgänger, die weißen und bärtigen Männer aus Peru. Wir hatten sie in der Mythologie und Architektur den ganzen Weg entlang von Mexiko nach Mittelamenka und hinein in die Nordwestgegend von Südamerika bis nach Peru verfolgen können. Ihre Bauwerke blieben und eine Fülle von Legenden, wahrend ihre geheimnisvolle Kultur wie mit einem Zauberschlag beim Kommen der Inkas verschwand, um ebenso plötzlich von neuem aufzutauchen auf den einsamen Inseln im Stillen Ozean, denen wir uns näherten. Waren diese wunderbaren Lehrmeister der Inkas ein Kulturvolk aus den Mittelmeerländern, das einmal in der Vorzeit auf dieselbe einfache Weise sich mit dem Passatwind und einer nach Westen gehenden Meeresströmung von den Kanarischen Inseln bis zum Golf von Mexiko durchgeschlagen hatte? Wir glaubten nicht
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