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Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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häßliche Grimasse. Er wich zurück und keuchte auf. Sein erster Impuls war, dieses Gesicht von der Hacke zu befreien, aber das durfte er nicht. Er machte auf dem Absatz kehrt und hatte gerade die Grasfläche erreicht, als ihm sein Mageninhalt aus dem Mund sprudelte. Während er sich erbrach, dachte er an Errki. Halldis tot, Errki in der Nähe. Vielleicht stand er noch immer da oben im Wald, hinter einem Baum versteckt, und starrte ihn an. Die eigene Stimme hallte ihm in den Ohren wider: Von einem solchen Tod träumen wir alle. Wenn wir keine jungen Dachse mehr sind.
     

KAUM SECHZIG MINUTEN SPÄTER wimmelte es auf dem Hofplatz nur so von Menschen.
    Hauptkommissar Konrad Sejer starrte in das unverletzte Auge der Toten. Sein Gesicht war ausdruckslos. Ihr Gesicht hatte sich aufgrund von inneren Blutungen verfärbt. Sejer ging ins Haus und staunte darüber, wie aufgeräumt alles war. Und wie still. Kein Gegenstand in der kleinen Küche schrie ihn an. Er ging die Post durch, legte einen Brief beiseite und machte sich Notizen. Schaute sich lange und ausgiebig um. Auf den ersten Blick aber kam ihm alles ganz normal vor.
    Die meisten hatten klare, fest umrissene Aufgaben; daran hielten sie sich und konzentrierten sich auf ihre Arbeit, so gut sie konnten. Aber sie wußten, daß sie das alles noch einmal erleben würden, später, an schlechten Tagen. Diejenigen, die für kurze Zeit nicht zum Zuge kamen, sondern warten mußten, kehrten der Treppe den Rücken und rauchten eine Zigarette. Danach steckten sie die Kippe sorgfältig zurück in die Packung. Paß auf, wohin du deine Füße setzt und was du anfaßt. Bleib ganz ruhig, mach Platz für den Fotografen, das hier ist einfach nur ein Fall, die Reaktion wird erst später einsetzen, und du hast sie doch gar nicht gekannt. Trauern werden andere. Hoffentlich.
    Gurvin stand rauchend am Brunnen. Er rauchte, seit die Kollegen eingetroffen waren, jetzt aber drehte er sich um und sah den Männern zu. Er hörte ihre Stimmen, leise, knapp, sehr ernst; ihr Tonfall brachte Respekt vor Halldis zum Ausdruck. Die sich vielleicht in Gedanken gesehen hatte, wie seiner Ansicht nach alte Leute das oft machten, wenn sie auf die Achtzig und auf das Ende zugingen. Vielleicht hatte Halldis sich im offenen Sarg liegen sehen, in einem schönen Kleid, mit gefalteten Händen. Vielleicht mit diskret geschminkten Wangen, geschminkt von einer fürsorglichen Person, die ihr Handwerk beherrschte und Halldis, bevor diese ihrem Schöpfer gegenübertrat, möglichst schön machen sollte. Aber so war es nicht gekommen. Halldis war einfach nicht schön. Ihr halber Kopf war zerstört, und kein Mensch auf der ganzen Welt würde ihn verschönern können. Gurvin nahm sich noch eine Zigarette. Ertappte sich dabei, wie er zum Wald hinüberstarrte, als glaube er sich noch immer von Errkis brennenden Blicken beobachtet. Warum, fragte er sich. Eine alte Frau wie Halldis Horn hatte auf Errki doch unmöglich wie eine Bedrohung wirken können – oder hielt er einfach alle Menschen, die ihm über den Weg liefen, für Feinde? Was hatte sie gesagt oder getan, womit hatte sie solche Angst in ihm erweckt, daß er sie vernichten mußte? Gurvin glaubte, die meisten Verbrechen verstehen zu können, wenn er sich wirklich Mühe gab. Er konnte sechzehnjährige Bengel verstehen, die sich nachts begierig nach Spannung auf der Straße herumtrieben. Die Autos knackten, damit durch die Stadt düsten und sich dabei eine Flasche teilten. Tempo. Rausch. Die wollten, daß sie verfolgt wurden, daß endlich jemand auf sie achtete. Auch Vergewaltigungen konnte er begreifen. Wut, Ohnmacht dem weiblichen Geschlecht gegenüber, das darauf bestand, ein Rätsel zu sein, das der Mann erst behutsam lösen mußte, ehe er eingelassen wurde. Und in richtig schweren Stunden konnte er sogar prügelnde Männer verstehen. Aber das hier war ihm zu hoch. Wie etwas in einem Mann keimen und wachsen konnte, wie es sich langsam ausbreitete wie ein Gift. Wie es alle normalen Hemmungen beseitigte und den Mann zum wilden Tier machte. Danach konnte er sich an nichts erinnern. Der Mord wurde zu einem bösen Traum, war nicht mehr wirklich. Nicht einmal, wenn dieser Mann aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz seine Krankheit überwand, zu klarem Bewußtsein kam und erfuhr: Diese grauenhafte Tat hast du begangen. Aber damals warst du krank.
    Er starrte zum Hauptkommissar hinüber, dessen Miene nicht verriet, was in ihm vorging. Nur ein seltenes Mal fuhr er sich, wie um seine

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