Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
stimmte nicht. Neben ihm saß jemand.
Auf der Straße wimmelte es nur so von eiligen Menschen. Niemand gönnte dem weißen Wagen auch nur einen Blick. Er ließ die Kupplung schleifen, glitt über die Kreuzung, starrte verbissen auf die Straße und ließ heiße Luft aus seiner Lunge. Nach dem ersten Block streifte er die Mütze ab. Sofort kam er sich nackt vor. Er wandte sich nicht von der Geisel weg, er hatte keine Wahl. Er konnte die Motorradmütze nicht aufbehalten. Alle, die ihm entgegenkamen, hätten das bemerkt und sich Richtung, Auto und Nummer eingeprägt. Die Geisel saß neben ihm und ließ den Kopf hängen. Sie kamen am Brautsalon vorbei. Er drosselte das Tempo, als ein Mercedes auf der linken Seite heran glitt, und starrte vor sich hin. Erst jetzt, nach zwei Minuten, als sein Puls sich ein wenig beruhigt hatte, kam ihm der Gedanke, daß es seltsam still sei. Er schaute zu seinem Fahrgast hinüber. Etwas stimmte hier nicht. Ihm wurde schlecht. Und mit der Übelkeit kam die Angst und damit die Furcht, einen Fehler zu begehen, einen noch schlimmeren.
Was zum Henker sollte er mil der Geisel anfangen?
So weit hatte er noch nicht gedacht. Er hatte sich darauf konzentriert, so schnell wie möglich zu fliehen, sichergehen zu können, daß niemand sich auf ihn stürzen und ihn zu Boden werfen würde. Über solche Fälle hatte er in der Zeitung gelesen. Über Leute, die den Helden spielen wollten.
»Du hast mein Gesicht gesehen«, sagte er heiser.
Seine Stimme klang sehr dünn für seinen kräftigen Körper.
»Und was machen wir jetzt wohl, was meinst du?«
In diesem Moment kamen sie an einem Bestattungsunternehmen vorbei, und sein Blick fiel auf einen weißen Sarg im Schaufenster. Messinggriffe. Oben ein Kranz aus roten und weißen Blumen. Der Kranz lag schon seit Jahren dort und war natürlich aus Plastik. Er schien in der Hitze schmelzen zu wollen, genau wie er selbst. Der Pullover klebte ihm am Leib, seine Cordhose schien fast zu dampfen. Er schaltete und bremste, um ein Taxi vorbeizulassen. Die Geisel schwieg, aber ihre Schultern bebten leicht, und er dachte, endlich kommt eine Reaktion. Das empfand er als Erleichterung. Er hatte nach dieser Belastung ein Bedürfnis danach, alles aus sich herauszulassen. Alles aus sich herauszulassen, verdammt noch mal, zum Beispiel mit einem Schrei aus dem halb offenen Fenster. Er zitterte, aber er rang um Beherrschung.
»Ich habe gefragt, was wir jetzt machen sollen!«
Das klang so jämmerlich. Er hörte seine eigene Angst, seine Stimme war hoch und schrill. Plötzlich wäre er gern allein gewesen, aber es war noch zu früh, um anzuhalten. Erst mußten sie die Innenstadt verlassen und eine abgelegene Stelle erreicht haben, wo er diesen unerwünschten Menschen loswerden konnte. Der sein Gesicht gesehen halle!
Nach wie vor Schweigen. Er wurde immer nervöser. Es war alles so anstrengend gewesen, die Wochen der Planung, die schlaflosen Nächte, Zweifel und Unruhe. Sonst war er einfach der Chauffeur, der mit der Planung nichts zu tun hatte. Darum kümmerten sich andere, er selbst wartete draußen mit laufendem Motor, normalerweise war er nicht einmal bewaffnet. Er hatte etwas versprochen, und dieses Versprechen hielt er jetzt. Aber er hatte eine Geisel. In der Bank war diese Geiselnahme ihm als kluger Schachzug erschienen. Vor der Bank standen die Leute wie gelähmt, niemand rührte auch nur einen Finger, aus Angst, die Waffe könne losgehen und die Geisel vor aller Augen in Fetzen reißen. Jetzt wußte er nicht, was er machen sollte. Und die Geisel war ihm auch keine Hilfe. Die schwieg einfach nur. »Es gibt natürlich nur zwei Möglichkeiten«, krächzte er.
Er konnte das Schweigen nicht mehr ertragen. »Du kommst weiter mit. Oder ich lege dich irgendwo am Straßenrand ab, in einem Zustand, in dem du keine Aussage machen kannst.«
Sein Fahrgast blieb stumm.
»Was zum Teufel hast du eigentlich so früh am Morgen in der Bank zu suchen gehabt? He?«
Da noch immer keine Antwort kam, kurbelte er das Fenster ein Stück weiter nach unten und ließ sich vom Fahrtwind das glühende Gesicht abkühlen. Er hätte sein Gesicht nicht zeigen, hätte eigentlich kein Wort sagen dürfen, aber auf das Gefühlschaos, das in ihm zu brodeln begonnen hatte, war er nicht vorbereitet gewesen. Dieses Gefühl überzukochen. Er hatte so lange gewartet, war eine Ewigkeit allein gewesen, er war nur ein dünner Strich, der zu zerbrechen drohte, und zu allem Überfluß saß nun auch noch jemand
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