Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Haus ist sehr einsam gelegen.«
»Es ist typisch für Errki, sich im Wald zu verkriechen, er geht Menschen aus dem Weg. Und das mit gutem Grund.«
Sie war sehr schroff. Sejer merkte, daß in ihm etwas aufstieg. Irritation.
»Verzeihen Sie meine Ignoranz«, sagte er langsam. »Aber ich muß diese Möglichkeit einfach in Betracht ziehen. Es war ein schlimmes Verbrechen und ganz und gar unnötig, denn offenbar ist nichts aus dem Haus entfernt worden als eine Brieftasche mit einigen wenigen Kronen. Und der Mörder befindet sich auf freiem Fuß. Die Menschen der Umgebung haben Angst.«
»Errki wird immer die Schuld zugeschoben«, sagte sie leise.
»Aber er ist bei dem Haus gesehen worden, und sie hat wirklich sehr einsam gewohnt. Da oben wimmelt es nicht gerade von Leuten. Und da er geistig gestört ist, können wir es nicht ausschließen, daß er etwas mit der Sache zu tun hat.«
»Sie meinen, er steht unter stärkerem Verdacht, weil er krank ist?«
»Naja, ich …«
»Sie irren sich. Er begnügt sich mit Ladendiebstahl. Schokolade und so.«
»Es sind allerlei Gerüchte über ihn in Umlauf.«
»Genau. Gerüchte.«
»Und die sind ganz ohne Grund entstanden, meinen Sie?«
Sie gab keine Antwort.
»Das ist aber nur die halbe Geschichte«, fuhr er fort. »Heute morgen hat es in der Innenstadt einen Überfall gegeben. Einen bewaffneten Überfall auf die Fokusbank.«
Sie prustete los. »Also wirklich. Errki kann sich nicht genügend konzentrieren, um eine solche Kraftanstrengung zu bewältigen. Jetzt haben Sie wirklich auch den letzten Rest Glaubwürdigkeit verloren.«
»Ich bin noch nicht fertig«, sagte er kurz. Was sie da über seine Glaubwürdigkeit gesagt hatte, gefiel ihm überhaupt nicht. »Die Bank wurde von einem jungen Mann überfallen, möglicherweise etwas jünger als Errki. Er trug dunkle Kleidung und war vermummt, deshalb konnten wir ihn noch nicht identifizieren. Aber das größte Problem ist, daß er eine Geisel genommen hat. Einen Kunden der Bank. Er hat die Geisel mit dem Revolver in sein Auto gezwungen und ist mit ihr verschwunden. Und diese Geisel ist als Errki Johrma identifiziert worden.«
Jetzt schwieg sie endlich. Er konnte ihre Verlegenheit förmlich hören.
»Errki?« stammelte sie. »Als Geisel genommen?« Sie stand auf. »Und Sie haben keine Ahnung, wo sie sich aufhalten?«
»Leider nein. Wir haben alle Ausfahrtsstraßen gesperrt, und bei dem Fluchtauto kann es sich um einen weißen Mégane handeln, der in der Nacht auf heute gestohlen worden ist. Vermutlich ist der Wagen längst irgendwo abgestellt worden, aber wir haben ihn noch nicht gefunden. Wir wissen auch nicht, was dieser Bankräuber für eine Persönlichkeit hat, ob er gefährlich ist oder nicht. Aber er hat in der Bank einen Schuß abgegeben, vermutlich, um dem Personal angst zu machen, und er wirkte ziemlich verzweifelt.«
Sie setzte sich wieder. Nahm einen Gegenstand vom Tisch und umklammerte ihn mit der Hand.
»Wie kann ich Ihnen helfen?« fragte sie leise.
»Ich muß wissen, was er für ein Mensch ist.«
»Dann sitzen wir heute nacht noch hier.«
»Dazu fehlt mir die Zeit. Sie glauben also nicht, daß er die alte Frau umgebracht hat. Wie lange ist er schon Ihr Patient?«
»Bei uns ist er seit vier Monaten. Aber er hat große Teile seines Lebens in verschiedenen Institutionen verbracht. Der Stapel von Berichten und Krankengeschichten über Errki ist unendlich hoch.«
»Hat es bei ihm jemals Anzeichen von Gewalttätigkeit gegeben?«
»Wissen Sie«, sagte sie, »in Wahrheit ist er unglaublich defensiv. Nur wenn er wirklich in die Enge getrieben wird, beißt er um sich. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß eine alte Frau ihm solche Angst eingejagt oder ihn dermaßen provoziert haben soll, daß er deshalb zum Mörder geworden ist.«
»Wir wissen nicht, was da oben passiert ist, was die alte Frau getan hat oder nicht. Aber ihre Brieftasche ist auf jeden Fall verschwunden.«
»Das war garantiert nicht Errki. Er stiehlt nur Schokolade und so was. Aber niemals Geld.«
Sejer seufzte leise. »Schön, daß Sie so fest an ihn glauben. Vermutlich braucht er das ganz besonders. Und außer Ihnen hält wohl niemand zu ihm, oder?«
»Hören Sie.« Sie sah ihn an. »Felsenfest sicher bin ich nicht. Ich kann felsenfeste Sicherheit auch nicht ertragen. Ich halte es aber für meine Pflicht, an seine Unschuld zu glauben. Früher oder später werde ich ihm diese Frage nämlich beantworten müssen. Wenn er wie Sie jetzt auf
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