Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
er rasch. »›Bedeutender Blutverlust‹. Sie ist doch eine Treppe hinuntergefallen?«
»Ich war nicht dabei, ich war damals erst zehn Jahre alt«, antwortete die Krankenschwester schroff. Aber dann erwachte ihre Neugier wieder. »Ist sie wirklich eine Treppe hinuntergestürzt?«
»So habe ich es gehört. Ihr Sohn«, erklärte Sejer, »war bei dem Unfall zugegen. Aber er war damals erst acht.«
»Kann schon sein«, sagte die Krankenschwester unsicher. »Aber da kann ich Ihnen nicht helfen. Nicht ohne den Obduktionsbericht.«
Sie las die Bescheinigung noch einmal. »Ja«, sagte sie schließlich, »das ist seltsam. Sie hatte eine heftige Blutung erlitten, und die allein hätte sie wohl das Leben gekostet. Aber was am Ende als Todesursache festgelegt worden ist, weiß ich nicht.«
»Welche Verletzungen kann man eigentlich davontragen, wenn man auf einer Treppe stürzt?«
»Ziemlich viele«, sagte die Schwester. »Vor allem, wenn man alt ist.«
»Aber das war sie doch nicht.« Sejer zeigte auf die Bescheinigung. »Elsi Johrma, geboren 1950. Als sie starb, muß sie also an die Dreißig gewesen sein, oder?«
»Können Sie sich nicht an den Sohn wenden? Wo der doch bei dem Unfall dabei war?«
»Doch«, sagte Sejer nachdenklich. »Wir suchen schon nach ihm.« Er stand auf und bedankte sich bei der Krankenschwester. Als er das Haus verlassen hatte, blieb er stehen und blickte zum Gerichtsmedizinischen Institut hinüber. Irgendwo dort lag Halldis. Er steuerte auf den Eingang zu, ohne wirklich zu wissen, was er vorhatte. Es war noch zu früh, um bohrende Fragen zu stellen, Halldis kam vermutlich erst in ein oder zwei Wochen an die Reihe. An der Pforte legte er seinen Dienstausweis vor, was ihm sofort Zugang zum gesamten Haus verschaffte. Wie erwartet fand er Snorrason in einem Obduktionssaal. Der Mediziner kehrte ihm den Rücken zu und streifte gerade ein Paar Gummihandschuhe über. Auf dem Tisch lag ein nicht besonders großes weißes Paket. Kaum größer als ein Hund, dachte Sejer. Bei der Vorstellung, es könne sich um ein Kind handeln, runzelte er die Stirn.
Der Arzt drehte sich um und hob eine Augenbraue. »Konrad?«
»Wer liegt da?« fragte Sejer und nickte zu dem Paket hinüber.
Snorrason starrte ihn an. »Nicht Halldis Horn, aber das kannst du dir ja wohl denken. Ich dagegen kann mir nicht denken, was du zu einem dermaßen unchristlichen Zeitpunkt hier verloren hast.«
Sejer grinste. »Ich weiß natürlich, daß du noch nicht dazu gekommen bist. Aber ich war in der Nähe, und da dachte ich, ich schaue einfach mal rein.«
»Aha.«
»Nur, um sie zu sehen. Aus keinem anderen Grund. Um ein bißchen nachzudenken.«
»In der Hoffnung, daß sie mit dir spricht?«
»So in etwa.«
Snorrason zog die Handschuhe wieder aus. »Sie sagt nicht viel.«
»Nein. Ich will ja auch nur einen kurzen Blick auf sie werfen. Eventuell kann ich selbst ein paar Worte sagen, wenn die Stille zu drückend wird.«
»Aber vor allem möchtest du, daß ich neben dir stehe und laut denke. Das ist deine heimliche Hoffnung, wie ich dich kenne. Obwohl ich das schrecklich ungern tue.«
»Nur einen kurzen Blick.«
»Hast du sie denn am Tatort nicht gesehen? Und habt ihr nicht ziemlich gute Bilder von ihr?«
»Doch. Aber das war gestern.«
Schließlich gab Snorrason sich geschlagen. Sejer folgte ihm zum Fahrstuhl und dann hinunter in die Tiefen des Kellers, in den Kühlraum, wo Halldis lag. Nachdem Snorrason die Nummer des Fachs nachgeschlagen hatte, zog er die Schublade heraus. »Bitte sehr, der Herr.« Er zog das Laken fort.
Schön war Halldis Horn nicht. Das unversehrte Auge war jetzt pechschwarz. Dort, wo das andere hingehört hätte, hatte die Hacke sich tief in den Schädel gebohrt, sie hatte die Nase quer abgetrennt, innere Blutungen hatten Stirn und Schläfe dunkellila gefärbt.
»Achteinhalb Zentimeter breit. Vierzehn Zentimeter tief. Genau die Länge und die Breite der Klinge«, sagte Snorrason kurz. »Eine unbedeutende Abwehrläsion am rechten Unterarm, wo die Klinge sie nur gestreift hat. Deutliches Monokelhämatom im lockeren Bindegewebe des rechten Auges. Sekundär zum Bruch der Schädelknochen.«
Sejer zwang sich dazu, sich tiefer über das Gesicht der Toten zu beugen. »Kannst du mir etwas über den Winkel sagen?«
»Da gibt es zwei Möglichkeiten.« Snorrason rang mit seinen eigenen Prinzipien. »Entweder lag sie auf dem Boden, als sie von der Hacke getroffen wurde. Oder sie stand und hob entsetzt den Kopf, als sie
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