Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Schokoriegeln hinüber. Es war eine Großpackung. Rasch rechnete er nach. Er wußte, daß sie zweiundfünfzig Riegel enthielt, das bedeutete, fünf für jeden Jungen und zwei für Margunn. Falls er teilte, wie der Bulle es wollte.
»Und dann hast du dich für einen Weg entschieden?«
»Es gibt vier. Einer führt über den Hügel, einer zur Aussichtsstelle. Einer zu den alten Rodungen und einer zu Halldis’ Hof.«
»Und den hast du genommen?«
»Ja, ich wollte das Frühstück nicht verpassen.«
»Ist es von dieser Stelle aus noch weit bis zu ihrem Hof?«
»Nein. Aber ich habe unterwegs eine Krähe geschossen. Und zwei Pfeile verloren. Die hab ich gesucht. Das hat eine Weile gedauert. Sie sind ziemlich teuer«, erklärte er. »Karbonpfeile. Hundertzwanzig Kronen das Stück.«
Sejer nickte und schaute auf seine Uhr. »Du suchst also eine Weile, dann gibst du auf. Und danach gehst du zum Hof. Hat das länger gedauert als der Weg vorher?«
»Es ging etwas schneller, glaube ich.«
»Sagen wir also, du hast den Hof um Viertel nach acht erreicht.«
»Das ist sicher nicht so ganz falsch.«
»Und jetzt erzähl mir, was du gesehen hast.«
Kannick kniff erschrocken die Augen zu. »Ich habe Halldis gesehen.«
»Wann hast du sie gesehen?«
»Wann?«
»Wo warst du, als du sie gesehen hast?«
»Beim Brunnen.«
»Du bist also beim Brunnen stehengeblieben, und dann hast du sie entdeckt?«
»Ja.« Er klang jetzt eher kleinlaut. Er wollte sich nicht daran erinnern, aber jetzt wurde er dazu gezwungen.
»Kannst du mir sagen, wie weit es vom Brunnen bis zur Treppe ist? Du als Schütze kannst das doch sicher gut schätzen.«
»Ich glaube, so an die dreißig Meter.«
»Das klingt wahrscheinlich. Bist du zu ihr hingegangen?«
»Nein.«
»Aber du warst sicher, daß sie tot war?«
»Es war nicht schwer, das zu sehen.«
»Stimmt«, gab Sejer zu. »Bleiben wir erst mal dabei, du stehst am Brunnen und siehst Halldis. Du hattest Angst, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wie hast du Errki entdeckt?«
»Ich habe mich umgeschaut«, sagte Kannick leise. »Ich hatte Angst, deshalb habe ich mich umgeschaut. Nach allen Seiten.«
»Das hätte ich auch gemacht. War er weit weg?«
»Oben im Wald.«
»Hast du ihn deutlich gesehen?«
»Ziemlich deutlich. Ich habe ihn an seinen Haaren erkannt. Er hat einen Mittelscheitel. Lange, schwarze Haare, wie ein Vorhang. Er hat mich angestarrt.«
»Was hat er gemacht, als du ihn entdeckt hattest?«
»Gar nichts. Er stand stocksteif da. Und ich bin losgerannt.«
»Da lang, wo auch Autos fahren?«
»Ja. Ich bin so schnell gelaufen, wie es mit dem Koffer nur ging.«
»Und deinen Bogen hattest du schon vorher zusammengeklappt und in den Koffer gelegt?«
»Ja. Ich bin den ganzen Weg gerannt, vom Hof bis ins Dorf.«
»Kennst du Errki gut?«
»Ich kenne ihn gar nicht. Aber er ist immer hier in der Gegend unterwegs, das ganze Jahr. Vor einiger Zeit ist er ins Krankenhaus gekommen. Und er hat immer dieselben Sachen an, egal, ob Sommer ist oder Winter. Immer schwarz. Das einzige, was nicht schwarz ist, ist seine Gürtelschnalle. Die ist groß und blank.«
Sejer nickte. »Kennt Errki dich?«
»Er hat mich ein paarmal gesehen.«
»Sah er ängstlich aus?«
»Der sieht nie ängstlich aus.«
»Er hat also kein einziges Wort gesagt?«
»Nein. Er verschwand einfach hinter den Bäumen. Ich konnte die Zweige hören. Und die Blätter haben geraschelt.«
»Was wolltest du eigentlich von Halldis, warum bist du zu ihrem Hof gegangen?«
»Ich wollte etwas zu trinken. Ich hatte Durst. Sie hat mir schon häufiger was gegeben, sie kennt uns doch.«
»Konntest du sie leiden?«
»Sie war ziemlich streng.«
»Strenger als Margunn?« Sejer lächelte.
»Margunn ist überhaupt nicht streng.«
»Aber du hast damit gerechnet, daß sie dir etwas zu trinken geben würde. Dann war sie doch eigentlich nett?«
»Sie war streng und nett. Sie hat uns immer gegeben, was wir haben wollten, aber sie hat die ganze Zeit geschimpft.«
»Erwachsene sind komisch, was?« Sejer lächelte wieder. »Haben alle Jungen hier sie gekannt?«
»Alle außer Simon. Der ist noch nicht so lange hier.«
»Und ihr habt sie ab und zu besucht und mit ihr geredet?«
»Manchmal haben wir sie gefragt, ob sie uns Saft und ein paar Brote gibt.«
»Wart ihr auch in ihrer Küche?« Bei dieser Frage musterte Sejer ihn forschend.
»Das nicht. Wir mußten im Flur stehen bleiben. Sie hatte immer frisch geputzt. Das sagte sie immer: Ich habe gerade
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