Kopernikus 4
geschlafen haben, denn ich erinnere mich bruchstückhaft an Träume. Natürlich von Dinosauriern. Sie saßen in kleinen Gruppen, ein paar spielten Mühle, und andere strickten Pullover. Und Choralgesang gab es, ein Dinosaurier-Vortrag vom Messias oder Beethovens Neunter, ich erinnere mich nicht genau. Ich glaube, ich werde verrückt.
Ich fühle mich wach, neugierig und hungrig. Vor allem hungrig. Ich weiß, daß wir hier Frösche, Schildkröten und andere kleine Anachronismen ausgesetzt haben, um den großen Biestern eine ausgewogene Ernährung zu geben. Heute werde ich ein paar für mich selbst stibitzen müssen, obwohl es mich bei dem Gedanken, rohe Froschschenkel zu essen, schüttelt.
Ich mache mir nicht mehr die Mühe, mich anzuziehen. Wenn viermal am Tag Regenschauer programmiert sind, ist es ohnehin besser, nackt zu gehen. Gestatten: Mutter Eva vom Mesozoikum. Außerdem stört mich die Treibhausluft hier ohne meine durchgeweichte Tunika nicht halb so sehr.
Mal sehen, was sich draußen finden läßt.
Die Dinosaurier sind auch schon auf. Die großen Pflanzenfresser mampfen in einem fort, und die Fleischfresser sind auf der Pirsch. Alle haben sie solchen Appetit, daß sie nicht warten können, bis die Sonne aufgeht. In der schlechten alten Zeit, als man die Dinos noch für Reptilien hielt, hatten wir natürlich erwartet, daß sie wie die Klötze herumsaßen, bis das Tageslicht ihre Körpertemperatur auf eine funktionale Ebene brachte. Aber eine der großen Freuden des Rekonstruktionsprojektes war die Bestätigung der Auffassung, daß die Dinosaurier warmblütige Tiere waren, aktiv, schnell und verdammt intelligent. Keine trägen Krokodilwesen! Obwohl ich wünschte, sie wären es, um meiner Oberlebenschancen willen.
11.30 Uhr. Ein arbeitsreicher Morgen. Meine erste Begegnung mit einem der großen Räuber.
Es gibt neun Tyrannosaurier auf der Insel, darunter drei, die in den letzten achtzehn Monaten hier geboren wurden. (Das gibt uns ein optimales Verhältnis von Raub- und Beutetieren. Wenn sich die Tyrannosaurier weiter vermehren und nicht anfangen, sich gegenseitig aufzufressen, müssen wir dazu übergehen, sie auszudünnen. Das ist eines der Probleme in einer abgeschlossenen Ökologie – das natürliche System von ausgleichender Balance läßt sich nicht vollständig übertragen.) Früher oder später mußte ich zwangsläufig einen treffen, aber ich hatte gehofft, es würde später sein.
Ich war auf der Jagd nach Fröschen am Ufer des Mantelsees. Eine kitzlige Sache: Sie erfordert Beweglichkeit, Geschicklichkeit und schnelle Reflexe. Ich erinnere mich an die Technik noch von meiner Kindheit her – die gewölbte Hand, der blitzschnelle Satz –, aber irgendwie ist es in den letzten zwanzig Jahren sehr viel schwieriger geworden. Ich nehme an, die Frösche sind heutzutage besser. Jedenfalls kniete ich dort im Schlamm, griff zu – und daneben, griff wieder zu – wieder daneben. Irgendwo schnaufte ein riesiger Saurier im See, wahrscheinlich unser Diplodocus; ein Korythosaurus durchstöberte eine Gruppe Ginkgos und knabberte ziemlich anmutig an den faulig riechenden gelben Früchten. Ein Griff – daneben. Ein Griff – daneben. Ich war so auf meine Beschäftigung konzentriert, daß der alte T. Rex sich auf Zehenspitzen direkt hinter mich hätte schleichen können, und ich hätte es nicht bemerkt. Aber dann spürte ich plötzlich ein unterschwelliges Etwas, eine Veränderung in der Luft vielleicht, einen kaum wahrnehmbaren Wechsel der Dynamik. Ich blickte auf und sah, wie der Korythosaurus sich auf die Hinterbeine erhob und sich unruhig umsah; in tiefen Zügen sog er die Luft in diesen wunderbar komplizierten Knochenkamm, der sein Frühwarnsystem beherbergt. Fleischfresser-Alarm! Das Böse kam auf leisen Sohlen, und der Korythosaurus roch es ganz offensichtlich, denn er schwenkte zwischen zwei große Ginkgos und wollte sich in schwerfälligem Galopp aus dem Staube machen. Zu spät! Die Baumwipfel teilten sich, riesige Äste stürzten herab, und aus dem Wald trat unser erster Tyrannosaurus, der Taubenfüßige, den wir Belsazar nennen, kam mit seinem schwerfälligen, plumpen Gang heran. Seine mächtigen Beine arbeiteten schwer, und sein Schwanz schwang lächerlich hin und her. Ich glitt in den See und drückte mich so tief ich konnte in den warmen, schleimigen Schlamm. Der Korythosaurus konnte nirgendwo mehr hingleiten. Unbewaffnet und ungepanzert konnte er nur noch laute, blökende Geräusche von sich
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