Kopernikus 4
gedacht, daß da noch etwas anderes im Spiel ist. Schnellere Schiffe oder was weiß ich. Sie müssen uns überholt haben, während wir hier im Schneckentempo mit diesem Monstrum von Kahn dahinkrochen. Wer war es? Wilkes?“
„Nicht Wilkes. Überhaupt kein Schiff. Irgendein Geisteskranker hat das Transportnetz benutzt, um sich innerhalb einer regulären Transmission von Robotern und Material auf das Koloniegelände schießen zu lassen. Er wird uns erwarten, wenn wir ankommen.“
„Erwarten?“ Etwas Eisiges schob sich über Nashs Wirbelsäule und verharrte in der Nähe seines Herzens. „Wir sind frühestens in vier Jahren auf Titan. Die Kuppel steht doch noch gar nicht. Ich bin nicht einmal sicher, daß die Roboter schon mit dem Gießen der Fundamente fertig sind. Und wovon will er leben, bis wir da sind?“
Tyler wurde rot. „Er wird nicht viel brauchen, Sir. Er wird bald genug tot sein. Die Auswirkungen des Transports kann er nicht überstehen.“
„Das ist richtig. Das hatte ich vergessen.“ Nash schüttelte den Kopf. „Sie haben mir einen Schrecken eingejagt, Nummer eins. Einen Moment lang dachte ich, wir wären im Eimer. Informieren Sie die Wache und geben Sie die Nachricht ins Log. Eines Tages, wenn wir auf Titan ankommen, werden wir den Burschen kennenlernen. Ich will wissen, wer er ist, damit wir ihm etwas auf seinen Grabstein schreiben können.“
Die Sonne scheint durch rostfarbene Wolken herab; die winzige helle Scheibe ist blaß und trübe. Die Eisflächen sind kalt. In der Ferne markiert eine Reihe von Klippen einen flachen Methansee; die Uferlinie ist von purpurfarbenem Schaum bedeckt. Es gibt Leben auf Titan. Nicht viel; ein paar einzellige Algen und räuberische Protozoen, aber die Exobiologen sind wie von Sinnen. Bislang hatten sie nichts zum Spielen als ein paar virusartige Kristalle, die man auf dem Mars in einer uralten Spalte im Mare Acidalium ausgegraben hatte.
Ich habe mich vor einer der Monitorkameras aufgesetzt. Sie wissen, daß ich hier bin. Die Linse ist mit makabrer Faszination auf mich fixiert. Wie lange es wohl dauert, bis die Bilder vom Orbit des Saturn zur Erde gelangen? Ich versuche, die Verzögerung auszurechnen, aber die Anstrengung ist zuviel für mich; die Zahlen treiben davon und verlieren sich. Ich gebe auf.
Ich spüre meinen Magen nicht mehr – ein schlechtes Zeichen, aber ich bin dankbar für diese Veränderung. Ich schaue auf das Helm-Chronometer. Zweihundertzehn Stunden. Ich habe einen ganz ansehnlichen Rekord aufgestellt. Der Leichnam, der nicht sterben wollte. Wahrscheinlich werden sie einen Horrorfilm über mich drehen. Ich kichere, doch dann fange ich mich wieder.
Nicht so etwas. Nicht vor der Kamera.
Der rote Kreis, den ich mit Farbe markiert habe, bezeichnet die Position des versiegelten Behälters. Darin befinden sich die Baupläne und Spezifikationen für den Raumanzug. Sie sind nicht ganz fertig. Das ist die Frustration des Sterbenmüssens, aber ich bin sehr, sehr nah davor. Die Tatsache, daß ich noch lebe, beweist das. Nicht der Transport tötet mich, sondern der Krebs. Zumindest ist das meine Hoffnung.
Ich lehne mich zurück und betrachte die Unterseite der Wolken. Ein kurzer Blitz flackert auf. Er ist bläulich-orange. Sieht seltsam aus. Das Rumpeln, das er hervorbringt, ist schriller als der Donner auf der Erde; es klingt eher wie Kieselsteine in einer Blechdose. In der Ferne fällt Schnee. Wasserkristalle vielleicht oder Proteinflocken, die sich aus den Kohlen Wasserstoff wölken kondensieren. Titan ist eine außergewöhnliche Welt und wirklich eine Reise wert. Im Geiste notiere ich mir einen weiteren Pluspunkt.
Mich schaudert es plötzlich. Ich friere. Das liegt nicht am Anzug. Das LS-Modul funktioniert tadellos. Ich bin es, der hier in die Binsen geht. Es wird Zeit. Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten. Die Wissenschaftler vom Schiff werden mich finden können, auch wenn sie noch Jahre entfernt sind. Wenn die Roboter die Kuppeln errichten, werden sie mich nicht stören müssen. Ich habe die Pläne der Kolonie studiert. Ich bin auf einem Lagerhof.
Und wenn die Nachricht heraus ist, daß ich auf Titan angekommen bin, wird mein Sohn James die Kassette öffnen und den Umschlag finden. Wenn er die Adresse sieht, wird er wissen, was er damit tun muß. Es ist für alles gesorgt, und ich empfinde eine gewisse Zufriedenheit. Endlich, endlich kann ich ausruhen. Es ist vorbei.
Über mir glühen die Wolken. Sie verfinstern die Sonne. Dann
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