Kopernikus 7
hineinzuziehen, das er mit Kaplan führte. Russo sah verletzt aus.
Mason knurrte entschuldigend etwas von einem Kater und stürzte die Hälfte seines dampfenden Kaffees hinunter, ohne etwas davon zu spüren. Sein Thunfisch-Sandwich schmeckte wie Sägemehl und rutschte wie Blei in den Magen. Ein trostloses, unerklärliches Verlustgefühl war im Laufe des Vormittags in ihm gewachsen, je mehr er sich mit seinem Traum beschäftigte. Es konnte doch nicht sein, daß ein Traum eine solche Wirkung auf ihn hatte; das war verrückt – es mußte mehr dahinterstecken, mehr als nur ein Traum, und er war nicht verrückt. Also konnte es sich nicht um einen bloßen Traum handeln. Er vermißte das Mädchen aus dem Traum. Wie konnte er jemanden vermissen, der nicht existierte? Das war verrückt. Aber er vermißte es. Also war das Mädchen vielleicht irgendwie mehr als nur ein Traum gewesen, denn sonst würde er es doch nicht so vermissen, oder? Das war auch verrückt. Er wandte sein Gesicht ab und spielte geistesabwesend mit Brotkrumen auf der kunststoffbeschichteten Tischplatte herum. Genug davon: Es war schleimig, und es machte ihm Kopfschmerzen, wenn er darüber nachdachte. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken.
An diesem Nachmittag begann er zu lauschen, während er arbeitete. Er ertappte sich mehrere Male dabei. Er lauschte angestrengt … nach nichts. Nein, das stimmte nicht. Erlauschte nach ihr.
Im Bus, auf dem Heimweg. Mason ist unruhig, als werde er in irgendeine unbekannte Gefahr getragen, auf ein fremdes Schlachtfeld. Seine Augen glitzern matt in der Dunkelheit. Das grelle Licht von den Scheinwerfern entgegenkommender Autos überflutet ihn in oszillierenden Wogen. Halteschlaufen schwingen wie Sensen hin und her. Die anderen Fahrgäste ringsumher sitzen schweigend da, sie bewegen sich nicht und vermeiden es sorgfältig, ihren Nebenmann zu berühren oder anzustoßen. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Raum: halbsichtbare Klumpen aus Fleisch und Schatten. Ihre Köpfe nicken sanft mit den Bewegungen des Busses, wie bei einem Maskottchen am Armaturenbrett.
Zu Hause aß Mason wieder eine tiefgekühlte Pizza, obwohl er sich eigentlich ein Omelett hatte machen wollen. Danach aß er noch einmal ein paar von den Feigen. Es war, als versuche er halbbewußt, den vergangenen Abend zu reproduzieren, indem er mit abergläubischer Sorgfalt alle Details dieses Abends wiederholte, in der Hoffnung, damit das gleiche Resultat hervorbringen zu können. So verzehrte er seine Pizza, schüttelte den Kopf über seine Dummheit und fluchte bitter vor sich hin. Aber er aß sie. Und während er aß, lauschte er auf das Kratzen – er verfluchte sich dafür, aber er lauschte dennoch; er glaubte nur zum Teil daran, daß so etwas wie das Kratzen existierte oder jemals existiert hatte, aber er lauschte. Halb fürchtete er, es würde nicht wiederkommen, und halb fürchtete er, es könnte doch kommen. Aber nichts geschah.
Als das Kratzen in seinem Kopf dann kam, waren Stunden vergangen. Er sah sich gerade einen alten Film im Nachtprogramm an, und es war ihm fast gelungen, das Ganze zu vergessen. Er erstarrte und fühlte eine Woge des Grauens (und er fühlte noch etwas anderes, das er nicht in Worte fassen konnte), und selbst diejenige Hälfte seines Wesens, die gehofft hatte, daß es käme, schrie jetzt vor Entsetzen angesichts des Unbekannten, da das Unmögliche tatsächlich geschehen war. Er kämpfte das Grauen nieder und atmete keuchend. So etwas konnte nicht geschehen. Vielleicht war er verrückt. Eine abgrundtiefe Angst flackerte auf. Auf seiner Stirn, unter den Achseln und zwischen den Beinen brach ihm der Schweiß aus.
Und wieder dieses Kratzen: Funkelnde Gefühle schoben sich tastend in seinen Kopf, sie fanden keinen Halt, glitten ab und kamen zurück; es war wie das Scharf stellen einer Spiegelreflexkamera. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. Die alten Sprungfedern ächzten, und durch den Stoff seines T-Shirts hindurch spürte er das rissige Leder heiß und klebrig an seinem Rücken. Er drückte die leere Bierdose zusammen, zerknüllte sie und schob sie automatisch in den Sechserpack neben seinem Sessel. Dann nahm er eine neue Büchse heraus und ließ sie in den Schoß sinken, ohne sie zu öffnen. Das gleitende Gefühl in seinem Kopf verursachte ihm Schwindel und eine leichte Übelkeit. Unruhig rutschte er hin und her und versuchte eine Position zu finden, bei der das Schwindelgefühl nachlassen würde. Das Polster gab ein nasses,
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