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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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Freitag
    Mord ist eine schreckliche Sache. Zerkochte Spaghetti übrigens auch. Zum Glück kennt Kommissar Roland Colbert sich aus. Er nimmt also den Topf rechtzeitig von der Platte und gießt die Spaghetti in ein Plastiksieb. Ja, nein! Er gießt sie nicht in das Sieb, er schlägt sie hinein. Er nimmt den Topf mit beiden Händen, schwenkt ihn hoch, bis über den Kopf, dreht ihn und haut ihn mitsamt dem Gewurschtel aufs Sieb. Es knallt, es spritzt, eine Ecke des weißen Spaghettidurchschlags springt ab, hopst über den Boden, bleibt vor einer Fußleiste liegen.
    Sie sehen auf. Beide.
    Während die Spaghetti sich ängstlich beeilen abzutropfen, dreht Roland Colbert seinen Kopf.
    Er sieht die Frauen.
    Zwei sind es. Seine Nachbarin Juliet, und die ist mehr als seine Nachbarin, seit drei Jahren, und neben ihr, auf der gemütlichen Holzbank, seine Tochter, Sina, aus einer Verbindung lange vor Juliet.
    Bis eben, bis zu dem Knall, haben sich Sina und Juliet sehr lebhaft, sehr bei sich, über Barcelona unterhalten, über die geplante Reise zu dritt.
    Das mit dem Urlaub war Sinas Idee. Roland hat zwar schon seinen Urlaub eingereicht und die Reise gebucht, aber … Er kann es nicht lassen.
    »Und du bist dir sicher, Sina, dass Barcelona richtig ist, im Winter?«
    »Ja! Viel besser als der Harz! Vor allem wo sowieso keinervon uns Ski läuft. Und außerdem, Katrin war schon in Barcelona! Und die sagt: Super!«
    »Wer ist Katrin?«
    »Die Dicke. Du nennst sie immer die Dicke.«
    »Hab ich ›Dicke‹ gesagt? Das glaub ich nicht.«
    »Katrin sagt, dass Barcelona unglaublich toll ist im Winter, weil man dann auch mal echte Spanier trifft, und Juliet findet Barcelona auch besser als Harz. Sag doch mal!«
    »Ich finde Barcelona auch besser als Harz.«
    Roland nickt. »Das heißt also, ich soll mich mal erkundigen, was so was kostet.«
    Juliet erschrickt. »Ich denke, du hast längst gebucht? Wir hatten doch alles besprochen! Wenn du jetzt noch nicht gebucht hast …«
    Ein Triumph. Juliets Gesicht! Da ist schon eine gehörige Portion Ernst in ihrem Entsetzen. Sina sieht noch besser aus mit ihrem offenen Mund. Er kann seinen betont nachdenklichen Gesichtsausdruck nicht länger kontrollieren. Der Mund zuckt. Die Augen fangen fast an zu tränen. In einem Verhör wäre ihm so etwas natürlich niemals passiert.
    Juliet kapiert, Sina versteht überhaupt nichts. »Was heißt das jetzt? Er hat nicht gebucht oder wie?«
    Roland dreht sich zurück zum Herd und beginnt, in der Spaghettisoße zu rühren. Juliet sieht Sina so lange und so betont traurig an, bis die endlich versteht. »Und ihr findet das witzig, ja?«
    Eine Familie beim Abendessen.
    Die Spaghettisoße blubbert, das Kind wird gequält, die Stiefmutter ist entzückt. Noch normaler und irdischer kann das Leben kaum sein.
    Mord. Jemand hat Todesangst. Damit zu beginnen. Sich diese Situation in Ruhe und ohne Ausflucht vor Augen zu führen.
    Sie haben übrigens vor zwei Wochen die Küche renoviert. Alles rausgeräumt, die Tapeten runter, eine neue Farbe. Sina hat die Farbe ausgesucht. Man darf in dieser Renovierungsaktionruhig etwas Bedeutendes sehen. Es geht um mehr als um die Veränderung und Auffrischung von Farbe. Roland Colbert denkt nämlich in letzter Zeit viel über seine Familie nach. Vielleicht, weil Sina jetzt sechzehn ist und in ein paar Jahren auszieht.
    Sinas leibliche Mutter heißt übrigens Marie. Sie war fünf Jahre älter als Roland und verdiente ziemlich viel Geld bei einer großen Unternehmensberatung. Eine finanzielle Basis hätte es also gegeben. Aber er und Marie waren eigentlich gar nicht mehr zusammen, als Sina entstand und … ein Kind? Mit vierundzwanzig? Nein! Er wollte es nach Paris schaffen, auf eins der großen Kommissariate. Sechzehn Jahre ist das jetzt her.
    Die Aufklärung eines Mordes kostet Zeit, wird schnell zu einem routinemäßigen Vorgang. Natürlich ist Distanz nötig. Der Tod. Alles Getue, alles Reden ist Distanz, was das angeht.
    Das übrigens verband alle Frauen, mit denen Roland je zusammen war. Dass sie gesellschaftlich über ihm standen. Ungewöhnlich, denn die wenigsten Frauen orientieren sich nach unten, und die wenigsten Männer halten es aus, wenn ihre Frau erfolgreicher ist. Dass dieses Gefälle für Roland Colbert nie ein Problem war, lag an dem einfachen Umstand, dass er sich bei der Wahl seiner Frauen von ganz einfachen und gradlinigen Impulsen leiten ließ, also von dem, was er als Gefühl bezeichnete. Sehr bodenständig! Diese Worte

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