Kopernikus 7
Kolonialisten das Hochland gestohlen, die Kikuju seien in die dürre, kaum fruchtbare Steppe verdrängt worden, das Bauernvolk, früher wohlhabend, sei heute arm und ausgezehrt. Aber trotz aller Schwierigkeiten sei die Dorfgemeinschaft erhalten geblieben, die Tradition; die Regeln des Zusammenlebens und den Rat der Ahnen habe man befolgt.
„Doch jetzt, wo Kenia unabhängig ist und Handelspartnerzwischen Mächtigen werden will, sterben Tradition und Dorfgemeinschaft“, sagte er, „wir zerstören uns selbst.“
Die Erzählungen vom Hochland hatte Fenter parat, wie Legenden wurden sie von Eltern an die Kinder weitergegeben, er glaubte sie nicht so recht, eher schienen sie ihm dazu nützlich, die Vergangenheit zu vergolden.
„Das Hochland ist sicher gut und fruchtbar“, sagte er, „aber auch voller Schädlinge. Onchozerkose und Filarienkrankheit plagen die Farmen, und selbst wenn der Bauer verschont bleibt, ist die Arbeit kaum zu bewältigen. Hier sind wir arm, aber sicherer, ich glaube nicht, daß unsere Dorfgemeinschaft stirbt.“
Er wollte aufstehen und gehen, die Angelegenheit schien erledigt.
Doch der Orkoyote wies ihn jäh auf seinen Platz, zischte: „Unsere Krankheiten heißen Industrialisierung und Tourismus,“ und redete schnell und monoton auf Fenter ein, so als ob er eine Broschüre über Ostafrikas Probleme verläse. „Wir holen fremdes Kapital ins Land, aber das Geld dient nicht unserem Aufbau, sondern dem Reichtum der europäischen und amerikanischen Konzerne. Wir rufen Touristen mit viel Devisen an unsere Strände, aber von ihrem Geld müssen Hotels, Schwimmbäder, Flughäfen und Kraftwerke gebaut werden, die ihnen und nicht uns nützen. Uns selbst bleibt so gut wie nichts, kaum ein Fünftel nämlich, wir dürfen nur die Handlanger sein, die Fabrikarbeiter und Autobusfahrer, die Köche, Kellner und Kofferträger. Die Krankheiten heißen Industrialisierung und Tourismus, und immer mehr von uns werden davon befallen.“
Fenter konnte diesen verschrobenen Gedankenausgängen nicht recht folgen, Wirtschaftsaufschwung, Konjunktur, Deviseneinnahmen – das waren doch alles Begriffe, die positiv waren, nicht wahr?
Es fiel ihm nicht leicht, die richtigen Ausdrücke zu finden, schließlich kam ihm ein Text in den Sinn, der zu passen schien.
KENIAS PRODUKTIONSZIFFERN STEIGEN, DER EXPORT WIRD IMMER BEDEUTENDER, DIE PRODUKTIVITÄT LIEGT AN DER SPITZE ALLER AFRIKANISCHEN STAATEN.
Und dieser: AUCH DAS PROKOPFEINKOMMEN DER LANDBEVÖLKERUNG STEIGT, UND IN DEN STÄDTEN LEBEN DIE SCHWARZEN FREI UND REICH WIE EUROPÄER.
„Das ist nicht unser Leben!“ rief Kwa-n-Sana heftig. „Damals zwangen sie uns ihre Herrschaft, jetzt zwingen sie uns ihre Wirtschaft auf. Wieder dienen wir den Fremden, lecken ihnen die Hände und müssen uns in ihren Fabriken und Hotels quälen, und uns bleibt nichts als zerstörte Familien und verlassene Dörfer.“
Fenter strich sich über seine dünnen, schwarzen Locken und schwieg, er war Bauer, nicht Politiker, und der einzige, völlig unverständliche Satz, der ihm einfiel, lautete: WAIKIKI-HOTEL, BUS 3.
Er mochte ihn nicht sagen.
In der Hütte wurde es kalt, das Licht, fast schon erloschen, ließ groteske Schatten über die Wände zittern, wie ein Netz, dachte Fenter, wie ein schwarzes Netz, das sich zusammenzieht …
Kwa-n-Sana sagte: „Der Speer kommt uns zu Hilfe. Und du bist es, der ihn führen wird.“
GRILLROOM. ABENDESSEN ZWISCHEN 18 UND 22 UHR. ANGEMESSENE KLEIDUNG ERBETEN.
Fenter fühlte sich plump, als runder, glatter Stein, ohne Kopf, Hals und Gliedmaßen.
„Was soll ich tun, Kwa-n-Sana?“ fragte er.
Wieder hielt der Orkoyote eine umständliche, sehr politische Rede: „Das Unglück kommt von den Fremden. Sie sagen Hilfe und meinen Geschäft. Sie wollen Industrie und Wirtschaft in unserem Land fördern, aber die Gewinne daraus werden sie selbst einstecken. Unsere Regierung in Nairobi setzt eifrig Unterschriften unter diese Verträge und lädt alle Welt ein, noch mehr Verträge abzuschließen, und die Minister und Industrievertreter übertrumpfen sich gegenseitig mit ihren Angeboten.“ Er hob die Stimme. „Wir wollen aber das fremde Geld nicht, es verdirbt und zerstört uns. Wir müssen den Fremden sagen, daß wir es nicht wollen.“
Fenter, zögernd: „Wie können wir es ihnen sagen?“
Kwa-n-Sana erhob sich, breitete seine Arme wie Schwingen aus, seine kleinen Vogelaugen funkelten.
„Du wirst den weißen Minister töten, der gestern abend in Mombasa
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