Kopernikus 7
dürfen nur die Handlanger sein, die Fabrikarbeiter und Autobusfahrer, die Köche, Kellner und Kofferträger. Die Krankheiten heißen Industrialisierung und Tourismus, und immer mehr von uns werden davon befallen.“
Fenter konnte diesen verschrobenen Gedankenausgängen nicht recht folgen, Wirtschaftsaufschwung, Konjunktur, Deviseneinnahmen – das waren doch alles Begriffe, die positiv waren, nicht wahr?
Es fiel ihm nicht leicht, die richtigen Ausdrücke zu finden, schließlich kam ihm ein Text in den Sinn, der zu passen schien.
KENIAS PRODUKTIONSZIFFERN STEIGEN, DER EXPORT WIRD IMMER BEDEUTENDER, DIE PRODUKTIVITÄT LIEGT AN DER SPITZE ALLER AFRIKANISCHEN STAATEN.
Und dieser: AUCH DAS PROKOPFEINKOMMEN DER LANDBEVÖLKERUNG STEIGT, UND IN DEN STÄDTEN LEBEN DIE SCHWARZEN FREI UND REICH WIE EUROPÄER.
„Das ist nicht unser Leben!“ rief Kwa-n-Sana heftig. „Damals zwangen sie uns ihre Herrschaft, jetzt zwingen sie uns ihre Wirtschaft auf. Wieder dienen wir den Fremden, lecken ihnen die Hände und müssen uns in ihren Fabriken und Hotels quälen, und uns bleibt nichts als zerstörte Familien und verlassene Dörfer.“
Fenter strich sich über seine dünnen, schwarzen Locken und schwieg, er war Bauer, nicht Politiker, und der einzige, völlig unverständliche Satz, der ihm einfiel, lautete: WAIKIKI-HOTEL, BUS 3.
Er mochte ihn nicht sagen.
In der Hütte wurde es kalt, das Licht, fast schon erloschen, ließ groteske Schatten über die Wände zittern, wie ein Netz, dachte Fenter, wie ein schwarzes Netz, das sich zusammenzieht …
Kwa-n-Sana sagte: „Der Speer kommt uns zu Hilfe. Und du bist es, der ihn führen wird.“
GRILLROOM. ABENDESSEN ZWISCHEN 18 UND 22 UHR. ANGEMESSENE KLEIDUNG ERBETEN.
Fenter fühlte sich plump, als runder, glatter Stein, ohne Kopf, Hals und Gliedmaßen.
„Was soll ich tun, Kwa-n-Sana?“ fragte er.
Wieder hielt der Orkoyote eine umständliche, sehr politische Rede: „Das Unglück kommt von den Fremden. Sie sagen Hilfe und meinen Geschäft. Sie wollen Industrie und Wirtschaft in unserem Land fördern, aber die Gewinne daraus werden sie selbst einstecken. Unsere Regierung in Nairobi setzt eifrig Unterschriften unter diese Verträge und lädt alle Welt ein, noch mehr Verträge abzuschließen, und die Minister und Industrievertreter übertrumpfen sich gegenseitig mit ihren Angeboten.“ Er hob die Stimme. „Wir wollen aber das fremde Geld nicht, es verdirbt und zerstört uns. Wir müssen den Fremden sagen, daß wir es nicht wollen.“
Fenter, zögernd: „Wie können wir es ihnen sagen?“
Kwa-n-Sana erhob sich, breitete seine Arme wie Schwingen aus, seine kleinen Vogelaugen funkelten.
„Du wirst den weißen Minister töten, der gestern abend in Mombasa gelandet ist.“
Die Flamme der Lampe war nun ganz erloschen, doch der Kitoi des Zauberers loderte in der Dunkelheit.
Ein Blutopfer!
Fenter murmelte bleich: „Ich kann nicht, n-Sana, das nicht.“
Und dann sagte er völlig zusammenhanglos: „Ich möchte gern noch einen Spaziergang am Strand machen.“
Kwa-n-Sana schrie: „Du wirst den Speer führen, Or-d-Fente. Du bist auserwählt.“ Und Fenter hockte verstört in der Hütte des Zauberers und begriff nicht mehr, was mit ihm geschah.
Von draußen zirpte nächtliches Lied herein, zaghaft, leise, wie von Grasharfen, darunter grollte das Mau-mau des Löwen als ferner, verhaltener Donner. Kwa-n-Sana hatte sich wieder auf den Boden gekauert, saß abwesend und in sich gekehrt, als ob er nie mit Fenter gesprochen hätte, sein hellroter Kitoi wirkte jetzt schattenhaft grau.
Fenter floh aus der Hütte und rannte durchs Dorf, und erst draußen, an den Gärten, unter den spärlichen Palmen des Wäldchens, glaubte er zu
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