Kopernikus 8
ich.“
„Er?“
Der alte Mann schien mich nicht zu hören. Er hob ein Stückchen von dem Tuch an und starrte darunter. „Nein, geht in Ordnung … falls Sie sicher sind, daß Sie ihn sehen wollen.“
„Ja.“
Ohne Zeremonie enthüllte er ein großes Glasterrarium und trat mit dem schmierigen Tuch in den knorrigen Farmerhänden zurück.
Ich weiß nicht, wie lange ich mit offenem Mund dagestanden und auf diesen unglaublichen Anblick gestarrt habe. Ich erinnere mich, daß der alte Mann wie in einem Traum zu mir sprach: „Genauso handeln die meisten Menschen, wenn sie ihn sehen.“
Das Ding war ein Albino-Affe … nein … der weiße Pelz war Fleisch … kahl, wie das Huhn … Arme und Beine in lächerlichen Winkeln gebeugt … gebeugt wie der alte Mann …
Nein, nicht gebeugt. Das unmögliche Ding stand aufrecht auf einem Bett aus dunklen Spänen. Seine Bewegungen erinnerten in ihrer Vielfalt an einen Zeichentrickfilm von Rübe Goldberg. Mit seinen zierlichen, aufklappbaren Händen, die für seinen vierzig Zentimeter langen Körper viel zu groß waren, griff es an den Rand des Terrariums und starrte mich zwischen seinen röhrenförmigen Armen mit karmesinroten Augen an.
Es war ein Gegenstand des Spottes, ein Zerrbild aus einem alptraumhaften Spiegelkabinett. Als ob es mein Keuchen imitieren wollte, öffnete das Geschöpf den Mund und entblößte damit ein geripptes Weiß, ein pelziges Schneefeld hier, im erstickenden Sommer Floridas. Nicht das leiseste Geräusch drang aus dieser jungfräulichen Öffnung.
Die Henne gackerte, und das Geräusch brachte mich ein bißchen näher an die Wirklichkeit. Ohne die Augen von der Kreatur abzuwenden, flüsterte ich: „Was ist das?“
„Er“, korrigierte mich der Mann. „Er ist eine Person. Könnte ein bißchen anders aussehen und handeln, aber er ist ein Mensch. So wie ich … so wie Sie.“
„Was?“ Ich starrte ihn an, um zu sehen, ob er mich verspottete wie Mrs. Nickerson im Motel. Aber es war keine Bosheit in seinem wettergegerbten Gesicht. Er nickte der merkwürdigen Kreatur zu.
„Isser nich’ ausgefallen?“
„Wo haben Sie ihn her?“
„Nun, er lebt bei mir seit ich, Moment mal … sechsundzwanzig war. Vorher war er bei dem alten Bo Wadley, bis dieser starb, und Bo selbst sagte mir, daß ihn sein Vater schon vor Bos Geburt im Besitz hatte. Er behauptete, daß er schon hier lebte, bevor weiße Menschen überhaupt nach Florida kamen.“
„Boca Bianca“, sagte ich. Eine Offenbarung. Die Spanier müssen ihre Niederlassung vor etwa vier Jahrhunderten nach dieser Kreatur benannt haben. „Aber wie konnte er so lange überleben?“
Der alte Mann saugte an seinen falschen Zähnen. „Der lebt länger als wir, nehme ich an.“
„Was ißt er denn?“
„Abgestorbene Pflanzen, verrottetes Holz und Torfmoos. Dazu trinkt er etwas Wasser.“
Ich konnte das barocke Muster seiner Rippen erkennen, eine surrealistische Struktur neben gestreiften Bändern aus Muskeln und glattem, seidigem Fleisch. Die Physiognomie glich vage einem Menschen, und die glänzenden, roten Augen waren unergründlich. Diese Züge waren grotesk genug, aber der Mund verbog den zerfurchten Schädel zu einem schmerzvollen prognathischen Ausdruck, öffnete ihn zu einem Trichter, zu einem lautlosen Schrei, der eine empathische Saite in mir anschlug.
„Warum halten Sie ihn hier in dieser Scheune, bei all diesen deformierten Tieren?“ fragte ich.
„Tja, das war seine Idee“, antwortete der alte Mann vorwurfsvoll. „Wir brauchten Geld, um leben zu können, und so kam er vor ein paar Jahren auf die Idee mit der Freak-Show. Nach kurzer Zeit gewöhnte er sich an, hier draußen zu schlafen, um alles im Auge behalten zu können.“
„Seine Idee?
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