Kopernikus 8
Zentrum des rechten Hinterhufs breitet sich ein pochender Schmerz im Bein aus. Ich glaube, ich habe eine Schwellung.
Wieder auf der Wiese, lege ich mich im hohen, kühlen Gras nieder. Beim Schlafen ist mir immer unwohl. Stehe ich wie ein Pferd, sinkt mein Kopf nach vorne, und ich bekomme Rückenschmerzen. Auf der Seite zu liegen, den Kopf auf die Arme gebettet, ist ebenfalls unbequem, weil mir dabei immer die Arme einschlafen.
Als ich wieder erwache, fällt bereits der Schatten der Berge über mich. Bald wird es dunkel werden, und der Vollmond wird scheinen. Ich strecke die Vorderbeine aus und richte mich auf.
Ein weißer Blitz zwischen den Bäumen erregt meine Aufmerksamkeit.
„Elfleda!“
Sie bleibt stehen und wendet sich mir zu, wobei sie den Kopf anmutig senkt, um das Horn zwischen Zweigen herauszuziehen. Sie hat kleine Brüste und lange, kräftige Hände. Am Nabel geht Menschenhaut in Tierfell über, doch wie alle anderen Äquiformen auch verfügt sie über menschliche Geschlechtsorgane zwischen den Beinen. Unsere Besitzer müssen Elfledas Tierkörper sorgfältig geplant und gezüchtet haben, denn sie ist sowohl Pferd wie Hirsch, ihr Fell aber ist das kräftige und bezaubernde einer Ziege. Sie wedelt mit dem Schwanz.
„Hallo, Achilleus. Was willst du?“
„Ich …“ Aber ich kann nichts von ihr wollen, das sie mir geben würde. Sie ist nicht grausam, nur distanziert. Sie hegt keine besonderen Gefühle für mich, und ich habe auch keinen Grund, das zu erwarten.
„Sie werden bald wiederkommen“, sagt sie.
„Ich hoffe nicht.“
„Sie werden.“
„Und du wirst auf sie warten.“
„Ja“, sagt sie. Ich verstehe nicht, weshalb sie nicht im Wald verschwindet, wenn sie kommen, schließlich kann sie fast alle ignorieren. Statt dessen beobachtet sie, und unsere Meister sehen sie und werden eifersüchtig auf ihre Freiheit. Was sie geben, können sie auch wieder nehmen.
Elfleda wedelt wieder mit dem Schwanz. Die schwarze Spitze berührt ihre Pferdeschulter, ihre Flanken. Der Wind weht ihr kurzes, feines Haar vom Kopf weg und verleiht ihr so einen silbernen Heiligenschein. Ich schreite auf sie zu, und sie weicht nicht zurück. Aber ich bin schweißnaß und staubverkrustet, und ich rieche wie ein erhitztes Pferd, nicht wie ein Mensch. Es ist mir peinlich, mich ihr so zu nähern. Sie beobachtet mich und wartet furchtlos. Sie weiß, wenn nötig, könnte sie mir entfliehen. Sie haben mich groß gemacht – größer als im Leben, im wahren Leben –, aber sie ist geschwind, und ihre Hufe sind scharf. Sie haben mir auch nicht soviel von meiner Menschlichkeit genommen, daß ich sie mit Gewalt nehmen könnte. Das wäre wahrlich ein bitterer Sieg.
„Früher hielt ich mich nicht für häßlich …“ Meine Stimme klingt kläglich. Ich sollte nicht so zu ihr sprechen, als wäre ich zufrieden, würde sie mich aus Mitleid akzeptieren.
Sie runzelt die Stirn, doch dann kommt sie auf mich zu. „Und wenn du es wärst, Achilleus, du weißt, mir wäre es gleich.“ Sie greift nach mir, ich kann die Wärme ihrer Hand am Gesicht spüren. Sie hat mich noch niemals berührt.
Ich weiche zurück und wende mich ab. „Du hältst mich immer noch nicht für attraktiv.“
„Das ist nicht fair.“
Und nicht einmal jetzt sehe ich sie an, obwohl ich weiß, daß sie recht hat. „Du hast ihre Regeln akzeptiert. Nichts bindet uns an sie.“
„Meinst du nicht?“
„Was hält dich davon ab, mich zu lieben?“
„Wir lieben, oder aber wir lieben nicht.“
„Wir lassen es zu, daß sie uns beherrschen.“
„Wir können sie nicht aufhalten“, sagt sie, und wieder hat sie recht. Zwischen der Zeit ihres Kommens gebe ich mich gern dem Glauben hin, wir könnten ihnen Widerstand leisten, wenn wir es versuchen, und ich gebe unserem Gehorsam, unserer Schwäche und unserer Unterwürfigkeit die Schuld,
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