Kopernikus 8
gerade als ich sie berühren möchte, verblaßt der Traum. Ich erwache halb und sehe sie tatsächlich vor mir, halb verborgen zwischen Farnen. Sie weiß nicht, daß ich hier bin.
Der häßliche Menschenjunge steht vor ihr. Er hat den Kopf gesenkt, so daß ihm das Haar ins Gesicht fällt und es verbirgt. Elfleda sagt etwas zu ihm, das ich nicht verstehen kann, da schaut er auf und lächelt. Seine Bewegungen sind zögernd. Elfleda nimmt ihn bei der Hand. Er berührt ihre Brüste, ihre Kehle, ihre Stirn, ihr gezwirbeltes Horn. Sie berührt ihn an den Schultern und reckt den Kopf empor. Dann verschwinden sie gemeinsam im Wald. Ich zittere, schließe die Augen und versuche, wieder einzuschlafen, während ich mir selbst glauben machen möchte, ich sei nie wirklich erwacht.
Noch im Verlauf der Nacht kommt Hekate zu mir zurück und legt sich Rücken an Rücken mit mir, damit wir es uns beide etwas bequemer machen können. Ich hatte erwartet, daß sie bei der Menschenfrau bleiben würde.
„Konntest du sie nicht finden?“
„Ich habe sie gefunden“, antwortet Hekate. Ich warte. Schließlich fährt sie fort. „Sie hat mich weggeschickt. Ich nehme an, sie hatte etwas Besseres vor.“ Ihre leise Stimme ist wie geschaffen für Zorn, aber nicht für Enttäuschung. Sie murmelt noch einige weitere Worte, während wir uns beide zum Schlafen ausstrecken. Auf der Wiese werden sich nur noch einige Menschen und wahrscheinlich die Satyre betätigen. Ich begreife nicht, weshalb sich die Menschenfrau von Hekate abkehrte. Auch ich wäre enttäuscht, wenn mich jemand wegen dieser haarigen Geschöpfe abgewiesen hätte. Doch wir gehorchen unseren Meistern, so lange wir es vermögen, ob sie uns nun befehlen, ihnen zu dienen oder sie zu verlassen.
Die Nachwirkungen der Nacht branden über mich herein, ich bin erschöpft.
Der Nymph schnarcht, und Hekate räkelt sich im Schlaf. Ich höre Gelächter und Kichern, einen geflüsterten Befehl, leise zu sein, doch die Geräusche gehen wie eine Brise über mich hinweg. Das müssen Menschen sein, die nach Unterhaltungen suchen, aber ich kann ihnen nicht mehr zu Willen sein.
Wir haben wenig Stürme hier, doch wenn sie kommen, dann sind sie heftig und verheerend. Wir wissen, wann wir Zuflucht suchen müssen, denn ihnen geht immer ein kühler Wind von den Bergen voraus, der ein bestimmtes Aroma mit sich bringt. Mein Fell stellt sich auf, denn jener Wind ist der Wortbrise nur zu ähnlich.
Ich bewege die Beine vorsichtig, damit ich den schnarchenden Nymph nicht verletze, dann erhebe ich mich. Hekate regt sich, erwacht aber nicht. Ich bin schon ganz steif und ungelenk, meine Beine schmerzen. Aber ich erinnere mich an die Richtung, in die Elfleda und der häßliche Junge gegangen sind. Und ich erinnere mich, wie die Menschen sie verfolgten.
Ich folge der niedergetrampelten Spur, habe aber Angst, laut nach ihnen zu rufen. Elfleda könnte außerhalb der Hörweite sein, doch wenn die Menschen mich hören, werden sie mich zum Schweigen bringen. Ich klettere so rasch wie möglich. Der Schmerz in den Hufen breitet sich in den Beinen und entlang den durch meine ungewöhnliche Konstruktion belasteten Teilen aus.
Plötzlich erreiche ich die Baumgrenze. Das Mondlicht wirft meinen langen Schatten auf hellen Granit. Der Berggipfel ist immer noch weit entfernt und durch Klüfte, Felsen und Felswände von mir getrennt.
Ich erklimme den ersten Paß, meine Hufe kratzen über kahles Gestein. Als ich den Gipfel erreicht habe, kann ich Elfleda und den Jungen golden zwischen den Nebeln des Schattens ausmachen. Er hat die Hände in ihre Mähne verkrallt, sie hat die Arme um seinen nackten Körper geschlungen. Er preßt sich rhythmisch gegen sie.
Sie sind sicher und allein. Ich aber bin deutlich vor dem Hintergrund
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