Kopf hoch, Freddie
sich um, weil sie die neugierigen Blicke des Fahrers fürchtete.
Doch es hatte keinen Sinn, sie mußte nach Hause. Sie trat vor und gab leise und gefaßt ihre Adresse an. Durch ihr sicheres Auftreten beruhigt, öffnete der Fahrer die Tür, und sie schlüpfte dankbar hinein. Sie zwang sich, aufrecht zu sitzen, dem Fahrer zu danken, als sie am Ziel angekommen war, und kommentarlos zu bezahlen.
Nachdem sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, brach sie wie tot zusammen und lag dann zusammengekauert auf ihrem Bett. Sie weinte nicht. Maurice war tot. Jonathan würde nichts für sie tun. Sie war allein und mußte einen Entschluß fassen.
Nach fünf Minuten stand für sie fest, daß sie zur Polizei gehen und alles erzählen mußte. Sie würde die Schuld auf sich nehmen.
Aber in diesem Zustand konnte sie nicht zur Polizei. Sie mußte sich umziehen und sich den Whisky aus den Haaren waschen, damit man nicht glaubte, sie habe getrunken. Sie ging ins Bad und drehte das Wasser auf, dabei wurde sie wieder von einem Schüttelfrost erfaßt. Ihre Zähne klapperten, und ihre Hände zitterten so, daß sie sich nicht mehr in der Gewalt hatte. Sie mußte sich zusammennehmen und zunächst einmal starken Kaffee kochen.
Sie ging an den Schrank und fand die Kaffeedose leer vor. Jetzt fiel ihr ein, daß Maurice sie ausgelacht hatte, als sie das letzte Stäubchen herausschüttelte. Er hatte gedroht: »Du wirst zu Whisky deine Zuflucht nehmen müssen, meine Süße, bis du neuen Kaffee besorgt hast. Das ist wenigstens ein sicheres Mittel zur Nervenberuhigung.«
Zur Nervenberuhigung. Genau das wollte sie, das mußte sie haben, ehe sie zur Polizei ging. Tatsächlich war eine Flasche da, dicht neben der Kaffeedose. Sie meinte die fröhliche Stimme von Maurice zu hören, als er darauf bestand, die Flasche hier zu lassen. »Ich muß doch hier eine eiserne Reserve anlegen. Es ist zu traurig, wenn man kommt und nichts Trinkbares vorfindet.«
Freddie nahm die Flasche zur Hand und sah sie an. Sie hatte Whisky noch nie gekostet und hatte keine Ahnung, wieviel sie nehmen sollte. Zunächst goß sie sich daher nur wenig ein, doch das meiste verschüttete sie auf den Tisch. Sie schenkte nach, und es wurde ein Quantum, das einen geeichten Trinker abgeschreckt hätte; für Freddie wurde es unheilvoll.
Sie schluckte und spuckte, weil sie das Zeug pur trank. »Ach, gräßlich«, keuchte sie und schüttelte sich. Sie wollte zehn Minuten ganz ruhig dasitzen. Bis dahin mußte sie sich soweit gefaßt haben, daß sie die Polizei anrufen, ihre Geschichte vorbringen und dann sogar an die Unfallstelle zurückkehren konnte.
Doch nach diesen zehn Minuten hatte sich plötzlich alles verändert. Angst und Verwirrung hatten eingesetzt. Sie konnte nicht zur Polizei. Man würde sie wegen Totschlags ins Gefängnis stecken. Sie konnte nicht zu Jonathan. Er wollte sie nicht und würde ihr nicht helfen. Ein aus Schock und Alkohol geborener Wahn erfaßte sie, die Entschlossenheit, um jeden Preis davonzulaufen, sich zu verstecken. Aber wo? Schwach hörte sie Pat Greshams Stimme: »Wenn ich unglücklich wäre oder Angst hätte oder von zu Hause weggelaufen wäre, würde ich hierher kommen!« Das war es. Sie wollte nach Tainui.
Sie kämpfte sich auf die Füße und blieb schwankend stehen. Die Erinnerung an die letzten Stunden war wie weggeblasen. Sie vergaß ihr Aussehen, den Whiskygeruch im Haar, die schmutzigen Kleider und zerrissenen Strümpfe. Plötzlich drehte sich alles um sie. In einer Erstarrung, die sie für Ruhe hielt, holte sie einen Koffer und warf ein paar Kleidungsstücke hinein. Dann ging sie leise hinaus und rief auf der Straße ein Taxi an. »Zum Bahnhof«, sagte sie mit einer seltsamen Stimme, die sie kaum als ihre eigene erkannte, und es kümmerte sie nicht, daß sie der Fahrer verächtlich angrinste.
Am Bahnhof ging sie zu einem Träger und sagte: »Ich möchte nach Tainui. Ist der Schnellzug schon weg?«
»Schon lang«, antwortete der Mann freundlich.
»Danke. Und wann fährt der Personenzug?« Es war für sie eine Riesenanstrengung, Worte hervorzubringen. Warum fiel ihr das Sprechen auf einmal so schwer? Da sie den Whisky inzwischen völlig vergessen hatte, schrieb sie das ihrem »Schock« zu.
»Erst in einer Stunde.« Er sah sie neugierig an und fuhr fort: »Trinken Sie inzwischen eine Tasse Kaffee. Das Bahnhofsrestaurant ist zwar schon geschlossen, aber da drüben ist ein Lokal, das bis Mitternacht offen hält.«
Der Kaffee machte
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