Kopfgeldjagd
Sie sagte: »Junger Mann, Sie haben die Welt vor sich. Hören Sie auf sich zu beklagen und nutzen Sie den Tag.« Diese Botschaft schlug ein wie eine Bombe. Ich war von ihrer Aufrichtigkeit und ihrer großartigen Haltung in einer unbefriedigenden Umgebung gerührt und hörte auf, mich wie ein Weichei anzuhören. Von da an begann ich, meine Existenz im tief religiösen Mittleren Westen Amerikas zu genießen.
Was die Heimat der Bulldogs ganz besonders sympathisch machte, war mein augenblicklicher Ruhm als ausländischer Stipendiat, der zudem A-Kader-Material im Basketball und halbwegs gut aussehend war. Die Pickel waren weg und mein Körper war inzwischen athletisch statt schlaksig. Der Wiedererkennungs- und Groupiefaktor übertraf meine kühnsten Erwartungen. In Deutschland hätte mir die Mitgliedschaft in der Jugendnationalmannschaft einige zusätzliche Liebesnächte im Jahr beschert. An einer großen amerikanischen Highschool war für Spitzensportler nichts leichter, als ständig Mädchen abzuschleppen. Nur weil ich in der Lage war, einen Basketball etwas besser als andere zu werfen, bekam ich so viel Sex, wie ich es in dieser gottesfürchtigen, gesetzestreuen, hart arbeitenden, rassistischen und prüden Gemeinde nie für möglich gehalten hätte.
Auch meine Noten entwickelten sich von vorzeigbar zu spektakulär – nicht weil ich in Detroit von der Quelle der Weisheit getrunken hätte, sondern wegen der Notengebung. Kreatives Schreiben zum Beispiel verschaffte einem augenblicklich eine A-Note, wenn man mehr als zwei Seiten mit weniger als zehn schweren Grammatikfehlern zustande brachte. Ich hätte 125 Mal »Ich bin ein Trottel« schreiben können und hätte dafür Spitzennoten bekommen. Ich erhielt mehrere Basketball-Stipendien und verdiente Geld, indem ich Sportartikel verhökerte, die wir bei den Turnieren des amerikanischen Amateurverbands Athletic Amateur Union von Nike und anderen Sportartikelherstellern bekamen. Ich rauchte Pot mit den schwarzen Homeboys und wurde richtig gut in Ebonics. Ich lernte, mich so gut zum Motown-Sound zu bewegen wie die Brothers und hatte meine ersten unschuldigen Rendezvous mit verschiedenen Soul-Schwestern. Motown – sprich Detroit – war als Murder City verschrien und ich musste in der Tat einmal mit einem Schraubenzieher auf einem heruntergekommenen Typen herumhacken, der versuchte, meine wertvolle Sportschuhsammlung am Saint Cecilia Gymnasium zu stehlen, aber alles in allem war ich sicher und in einem Teenagerparadies.
Mein absolutes Highlight in Detroit war ein Basketball-Match, bei dem ich mit demselben All-Star-Basketballteam spielte, zu dem die spätere NBA-Legende Earvin »Magic« Johnson gehörte. An diesem Spiel nahmen die besten Basketballspieler Detroits teil, die allesamt erstklassiges College-Basketball-Material waren und gegen unser Team antraten, das sich aus den besten Spielern der Vorortgemeinden Michigans zusammensetzte. Zu unserer Startformation gehörten vier zukünftige NBA-Spieler und ich. Wir wurden Suburban All-Stars genannt, wobei ich von beiden Mannschaften der einzige weiße Spieler war.
Man reichte mir im Umkleideraum einen erstklassigen Joint, und als die Zeit für Aufwärmübungen kam, waren die meisten von uns ziemlich bekifft. Die Vorbereitung für das Spiel war beunruhigend. Diese zukünftigen Basketball-Legenden verpassten die simpelsten Korbleger und Sam Vincent, Greg Kelser und Magic schafften es kaum, sich von der Bank zu erheben, von der aus sie mit einem halben Dutzend Groupies auf der Tribüne flirteten. Magic warf zweimal von der Freiwurflinie komplett neben den Korb – der Ball berührte nicht einmal die Korbanlage.
Unterdessen konnten wir nicht aufhören, uns über die Deppen aus Detroit lustig zu machen. Die Brüder aus Downtown warfen 360-Grad-Volltreffer, hängten sich an den Korbring und landeten alle Korbwürfe mit vollkommener Perfektion. Sie waren todernst, während wir kaum geradeaus laufen konnten. Sie schworen, uns um mindestens 30 Punkte zu schlagen, vor allem den Nazi-Import. Wir kicherten einfach weiter und klatschten ohne ersichtlichen Grund die Hände zum High five ab. »Kann irgendeiner dieser Mannschaft einen Basketball fangen?«, fragte ich mich. »Die werden uns fertigmachen. Das wird hässlich.«
Das Spiel war für mich eine völlige Offenbarung. Man soll eine Mannschaft nie nach ihren Aufwärmübungen beurteilen. Sobald der Anpfiff ertönte, war das Herumalbern beendet und die Wettkampfnatur der Spieler kam
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