Kopfgeldjagd
auch, dass ich bereits ein funktionierendes, profitables Unternehmen in der Investmentwelt besaß (das ich ironischerweise aus ethischen Gründen verkaufte, bevor ich den Direktorenposten annahm) und dass ich mehrere Jahre in den Schulferien für meinen Vater gearbeitet hatte. Auch das Praktikum in Südafrika und meine Sprachkenntnisse waren ein Pluspunkt. Alles zusammen bedeutete, dass ich über eine Erfahrung verfügte, mit der kaum ein Bewerber mithalten konnte. Tatsächlich hatte ich mehr Trading- und Investmenterfahrung als die 30-Jährigen in dem Geschäft. Wie ich schon sagte, wusste ich ganz genau, was ich brauchte, um erfolgreich zu sein, und hatte mehrere Jahre lang die richtigen Trittsteine richtig platziert – Erfahrung, Führungsqualitäten, soziales Engagement etc. Der Erfolg ist mir nicht in den Schoß gefallen; mein Aufstieg war sorgfältig geplant und wurde ebenso sorgfältig umgesetzt.
Wahrscheinlich war die Ausbildung bei dieser Investmentbank die prestigeträchtigste, die es damals gab, und auf jeden Fall besser als die, die Goldman Sachs damals anbot. Sie beinhaltete ein fünfzehnmonatiges Training in den Niederlassungen in London, Frankfurt und New York auf den Gebieten Wertpapiere, Kredite, Rohstoffe, Investmentbanking, Verkauf – die ganze Kapitalmarktpalette. Das Ziel dieser Ausbildung war, die nächste Führungsgeneration des damals größten Maklerhauses der Welt heranzuziehen. Die anderen vier erfolgreichen Kandidaten der Endrunde waren eine Frau aus Oxford, die anschließend nicht einmal die Lizenzprüfung schaffte, die wir alle ablegen mussten, ein hochintelligenter Typ aus Panama, ein Franzose, aus dem ein äußerst kompetenter M&A-Experte wurde, und ein deutscher Langweiler, der viel zu introvertiert und nicht intelligent genug war, um Spuren zu hinterlassen.
Nachdem ich alle technischen und zum Teil unverständlichen Zulassungen für den Handel mit Wertpapieren, Futures, Rohstoffen und Optionen erworben hatte, wurde ich der Maklersparte eines vermögenden Maklerbüros im Herzen von Mayfair, London zugewiesen. Dabei handelte es sich um eine geradezu irrsinnige Neureichenszene. Ich war 22 Jahre alt, fuhr mit meinem Porsche oder Mercedes ins Büro, lebte ganz alleine in einem riesigen Haus und trug eine Rolex, die 30.000 Dollar wert war. Während die Welt um uns herum von einer zweistelligen Inflationsrate und Massenarbeitslosigkeit erschüttert wurde, waren wir eine neue Generation einflussreicher Profis – die Londoner Yuppies. Später arbeiteten wir auf den Gebieten Euromarkt-Anleihen, Rohstoffe und Investmentbanking. Zu einer Zeit, als Margaret Thatcher und Ronald Reagan die Rahmenbedingungen schufen, damit Haie ungehindert Beute machen konnten, war das Investmentbanking ein äußerst lukratives und wachstumsstarkes Betätigungsfeld. Die Dynamik war beeindruckend. Die Zinsen sanken jeden Monat, die Märkte schossen in die Höhe und die Wirtschaft begann kräftig zu wachsen. Und darüber hinaus erfreute sich unsere Branche ständig wachsender Gewinne und astronomischer Bonuszahlungen.
Nach der Ausbildung wurde ich 1983 in New York der jüngste Wertpapieranalyst in der Geschichte der Bank. Ich ließ meinen Porsche von London nach New York überführen und mietete ein schickes Apartment mit Blick über den Hudson und den Broadway. Verglichen mit London hatte New York zu der Zeit seinen Fuß ständig auf dem Gaspedal – keinerlei Seilschaften aus alten Schulverbindungen behinderten das Unternehmen, das wendig, gerissen, analytisch und brutal effizient war. Es war der reinste Goldrausch, und das gleich neben der wüsten Verwahrlosung, die in der South Bronx, in Harlem und der Lower East Side herrschte. Aus meiner Sicht war das sehr unterhaltsam. Im Verlauf des Jahrzehnts nahm der allgemeine Wohlstand zu und schwappte auf breitere Teile der Stadt über, und alles veränderte sich in rasantem Tempo.
Ob im Beruf oder privat, ich hatte jedenfalls sehr viel Spaß. Ohne jeden Grund oder vielleicht auch aus vielen Gründen – die Verwandtschaft zu Neckermann, mein exotisches Deutschsein, Harvard, meine großartigen Zukunftsaussichten, mein Reichtum, meine Intelligenz und mein Hedonismus – wurde ich ein hervorstechendes Mitglied des Junior International Club (JIC), der den großen Nachtklubs von Manhattan lose angegliedert war. Dieser Klub, dessen Mitglieder im Wesentlichen eine Ansammlung vermögender Eurotrash-Typen und reicher New Yorker war, bezeichnete sich als exklusivster
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