Korrupt (German Edition)
Eltern?»
«Sie sind leider schon lange tot», antwortete Annie.
«Das tut mir leid. Jetzt will ich Sie aber nicht länger aufhalten. Ich glaube, Sie haben sich da ganz schön viel vorgenommen, Annie. Auch schon andere haben versucht, diese oder ähnliche Affären aufzudecken. Aber bisher konnten kein einziges Mal genügend stichhaltige Beweise zusammengetragen werden, um die Staatsanwaltschaft zu überzeugen. Vielleicht haben Sie ja Glück. Zögern Sie nicht, um Hilfe zu bitten. Ich bin auf Ihrer Seite.»
5
Annie hatte immer noch den Geschmack des Frühstücks im Mund, und sie spürte den kalten Morgen schmerzend in ihren Fingerspitzen, als sie in die Wärme trat. Sie und Max hatten am Abend gestritten. Wie immer war es um seine Trinkgewohnheiten gegangen. Annie hatte das ungute Gefühl, nicht zu Max durchgedrungen zu sein. «Es ist nicht nur, dass es keinen Spaß macht, mit dir zusammen zu sein, wenn du betrunken bist», hatte sie gesagt, als die Diskussion sich etwas beruhigt hatte, «sondern ich muss auch ständig befürchten, dass du dich betrinkst. Wie wird es wohl heute Abend?, denke ich. Was wird sein, wenn du von der Arbeit nach Hause kommst? Ich will mir nicht andauernd Sorgen machen, und vor allem will ich nicht, dass unser Kind damit rechnen muss, dass der Papa betrunken ist, wenn er nach Hause kommt. Begreifst du das, Max?»
Er hatte resigniert genickt, sich auf die andere Seite gedreht und wortlos das Licht ausgemacht. Jetzt saßen sie nebeneinander und sahen die Hebamme an.
«Es ist ganz normal, dass Fragen auftauchen, die sich nicht so leicht beantworten lassen», sagte die Hebamme und schaute von Annie zu Max. Schon als die beiden eingetreten waren, hatte sie die Angespanntheit gespürt und erklärt, es sei ganz normal, dass man sich als Frau Sorgen mache und dass man während der Schwangerschaft unter Stimmungsschwankungen leide.
«Es kann sich dabei um Fragen handeln, wie die Zukunft der Beziehung aussieht», fuhr sie fort und legte Annie eine Hand auf die Schulter. «Oder ob das Kind gesund ist. Ob das Geld reicht. Es gibt vieles, worüber man sich den Kopf zerbricht. Aber das bedeutet nicht, dass Sie sich weniger darauf freuen, Mutter zu werden. Sie brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben.»
Nachdem sie sich von der Hebamme verabschiedet hatten, die ihnen versichert hatte, dass alles in Ordnung sei, eilte Annie Richtung Redaktion. Nach zwanzig Metern drehte sie sich um. Sie sah, wie Max langsam auf den tosenden Verkehr zuschlenderte, und sie fragte sich, welche Gedanken ihm wohl gerade durch den Kopf gingen. Wenn sie Zeit gehabt hätte, wäre sie ihm hinterhergerannt und hätte vorgeschlagen, den Jazzclub aufzuschließen und so zu tun, als würden sie sich gerade kennenlernen. Zeit, dachte sie, beschleunigte ihren Schritt und überlegte, wie sie Kontakt mit der Herrenloge aufnehmen sollte.
Die Räumlichkeiten des Herrenbundes lagen in einem gelben Gebäude auf Blasieholmen. Eine leere Fahnenstange ragte über dem Portal auf die Straße. Es war Mittag. Annie behielt die schwere Holztür im Auge. Sie hatte sich im gegenüberliegenden Torbogen postiert, und zwischen ihr und dem Portal lagen nur zehn Meter Kopfsteinpflaster. Sie hoffte herauszufinden, welcher Typ Mann Clubs wie den Herrenbund frequentierte.
Es pfiff ein eisiger Wind, und sie zog den Mantel enger, schob die Hände in die Taschen und drückte sich an die Wand. Auf Blasieholmen waren laut Legende im 14 . Jahrhundert die Käpplinge-Morde verübt worden. Etwa siebzig Menschen waren in einem Haus eingesperrt und dort verbrannt worden. Dann war ein Unwetter über Stockholm hereingebrochen, und die Piraten hatten die Herrschaft übernommen. Die Vitalie-Brüder. Die Seeräuber der Ostsee, die sich nahmen, was sie haben wollten. Es hieß, sie seien die ersten Piraten gewesen, die die Beute gerecht unter allen aufteilten. Jeder sollte reich werden. Annie fragte sich, ob die, nach denen sie suchte, davon wussten oder dieser Legende etwas abgewinnen konnten.
Viele Passanten unauffälliger, durchschnittlicher Erscheinung waren aufgetaucht und wieder verschwunden, aber um kurz vor zwei wurde Annie aufmerksam. Die Männer, die jetzt das Haus verließen, waren irgendwie anders. Zwei gingen voraus, dicht gefolgt von einem dritten. Dieser war bedeutend älter, und die beiden Jüngeren schienen ihn mit großem Respekt zu behandeln. Er war um die siebzig, groß und schlank und hatte weißes Haar. Sein Hals war faltig und erinnerte
Weitere Kostenlose Bücher