Korrupt (German Edition)
seinem Posten. Zahlte seine Steuern. Hatte sein Auskommen. Hatte gelegentlich eine Affäre. Mehr nicht. Aber er verabscheute auch solche Menschen, denen Annie Lander auf der Spur war.
«Hieb- und stichfest?»
Wikholm zuckte mit den Achseln. «Das ist ja eine alte Geschichte. Schon vor Jahren hat mir ein Bekannter, der beim
Expressen
in der Polizeiredaktion gearbeitet hat, davon erzählt. Ich glaube, jede Redaktion hat von diesen Gerüchten schon einmal gehört. Aber Annie hat etwas Neues herausgefunden. Nichts Gutes.»
«Und der Grund, warum wir weitermachen sollten?»
«Das verstehst du, wenn du es gelesen hast.»
«Ist die Sache heikel? Egal, was wir tun – bringen wir die Story, haben wir eine Verleumdungsklage am Hals. Bringen wir sie nicht, heißt es, wir ließen uns beeinflussen.»
«Deshalb bist du vermutlich Geschäftsführer, von Konow», sagte Wikholm und ging zur Tür, «weil du so verdammt schlau bist.»
Carl von Konow öffnete die Mappe und begann zu lesen. Die Unterlagen, die er vor sich hatte, würden nur Probleme mit sich bringen. Plötzlich ahnte er, warum Martin Hellsten am Vormittag mit ihm hatte reden wollen.
Auch Carl von Konow war zu Ohren gekommen, dass Wirtschaftsbosse und Politiker Feiern mit Prostituierten veranstalteten. Darüber wurde nicht unbedingt offen gesprochen, aber unter den genannten Namen waren auch Männer aus seinem eigenen Club. Es hieß ferner, dass diese Feste manchmal ausarteten. Dass manche Männer «spezielle Wünsche» hatten. Offenbar waren diese Gerüchte auch zu Annie Lander vorgedrungen, und sie hatte sich darum bemüht, eine konkrete Spur zu finden. Wie diskret sie auch vorgegangen sein mochte, die Beteiligten waren wahrscheinlich darauf aufmerksam geworden, dass eine Journalistin Fragen stellte. Er konnte sich keinen anderen Grund vorstellen, warum der Anwalt der Familie Droth sonst mit ihm sprechen wollte. Es drängte sich die Schlussfolgerung auf, dass Annie Lander etwas aufgespürt hatte, was gewisse Leute in gewissen Positionen für sich behalten wollten. Er wusste nicht, welche Spur sie verfolgte, und auch nicht, ob ihre Behauptungen zutrafen, aber er war sich sicher, dass er nichts mit einer Sache zu tun haben wollte, die mehr kostete, als sie einbrachte.
Annie blieb vor dem Jazzclub stehen. Die Fenster waren beschlagen. Auf der kleinen Bühne saß Max, wie immer, aber schöner denn je. Gedämpfte Musik drang nach draußen. Er spielte auf der gelben Gitarre, die sie ihm geschenkt hatte, und vielleicht dachte er hinter seinen geschlossenen Augen gerade an sie beide und daran, wie ihr Blick bei ihrer ersten Begegnung auf ihm geruht hatte, als sie ihn von ihrem Tischchen aus angesehen hatte. Sie schreckte aus ihren Gedanken auf, als plötzlich ein Mann in beigem Mantel neben ihr auftauchte und die Tür öffnete. Er sah sie an, zögerte einen Augenblick, als wolle er fragen, ob sie auch in die Wärme wolle, und trat ein. Irgendetwas hielt Annie davon ab, einzutreten und Max zuzuwinken, als Max den Luftzug von draußen spürte und hochschaute. Es ging nicht um ihn oder sie, sondern um alles um sie herum: die Welt. Sie hatte ihre Haken nach Annie und Max ausgeworfen und zog sie mit jedem Tag weiter voneinander weg. Sie fragte sich, wann das ein Ende nehmen würde.
Neue Lügen und alte Wahrheiten
1
«Nur ein lausiger Tropfen», zischte Johan Droth und blickte auf die glatte Wasseroberfläche in der Toilette, die ihn zu verhöhnen schien. Stirnrunzelnd betrachtete er sich im Spiegel. Er nahm sich vor, den Hausmeister zu bitten, ihn abzuhängen, damit er sich nicht bei jedem Toilettenbesuch selbst ins Gesicht sehen musste. Er hielt sich aufrecht, hatte volles Haar, einen festen Blick und einen festen Händedruck. Er trug einen schwarzen Zweireiher von Cordings, seiner englischen Lieblingsmarke. Seine Hemden waren immer weiß und gestärkt, dazu trug er eine cremefarbene Seidenkrawatte. Er fand sich für seine fast siebzig Jahre verdammt gutaussehend. Aber die Krankheit war unbestechlich, und die entwürdigende Macht der Natur über das Leben brachte sich unerbittlich in Erinnerung, als er versuchte, einen ersten Tropfen herauszupressen. Sein Leiden hatte sich in den letzten Monaten verschlimmert. Er schluckte seine Medikamente, konnte aber kaum noch Wasser lassen, und die Rückenschmerzen waren betäubend. An manchen Tagen blieb er vor der Kloschüssel stehen, bis seine Beine schmerzten, und wünschte sich, der Krebs hätte sein Gehirn befallen, dann
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