Korsar und Kavalier
zugenäht!“
„Käpt’n!“ Der Erste Offizier Stevens packte Tristan am Arm.
Tristan schüttelte den Mann ab. „Zum Henker, Stevens. Ich brauche kein Kindermädchen.“
„Ich weiß, Käpt’n. Ich wollte nur nicht, dass Sie wie ’n leeres Fass über Bord gehen. Da runter ist es ganz schön weit.“
Mit zusammengebissenen Zähnen stellte Tristan den Fuß auf, wobei er sich schwer auf seinen Stock stützen musste. „Es besteht keineswegs Gefahr, dass ich die Klippe runterfalle, Sie verfluchter Esel. Mag sein, dass ich meinen verkrüppelten Fuß nicht mehr fest auf Deck eines seetüchtigen Schiffes stellen kann, aber an Land komme ich immer noch gut allein zurecht. “
Sein Ausbruch stieß auf Schweigen. Tristan wusste, auch ohne hinzusehen, dass sein ehemaliger Erster Offizier ein ebenso langes Gesicht zog, wie das Meer weit war. Verdammt, er hatte den Mann wirklich nicht verletzen wollen. Im Stillen verfluchte er sein jähzorniges Gemüt: Beim geringsten Anlass explodierte er wie eine geladene Kanone.
„Tut mir leid, dass ich störe, Käpt’n“, meinte Stevens kleinlaut. „Ich wollte nicht ..."
„Haben Sie auch nicht“, unterbrach Tristan ihn, während er den Schmerz in seinem Bein zu unterdrücken suchte. „Das liegt einzig und allein an mir. Ich bin einfach in üb-ler Stimmung. Das Wetter ...“ Er presste die Hand an den Oberschenkel.
Stevens nickte. „Allerdings, Käpt’n. Kanonier Thurwell sagt auch, dass ihm der Arm heute Morgen ganz schön wehtut.“
„Thurwell beklagt sich doch dauernd über seinen verletzten Arm, selbst wenn der Arzt nichts feststellen konnte.“
„Ist mir auch schon aufgefallen.“ Stevens sah aufs Meer hinaus. Beim Anblick der hohen Wellen hellte sich seine Miene ein wenig auf. Er atmete tief ein. „Riecht nach Nordwestwind.“
„Aye. Wenn mich nicht alles täuscht, kriegen wir Sturm.“ Tristan sah zu dem kleinen Mann und grinste ihn schief an. „An Tagen wie diesen vermisse ich die See. Sie hätte sich unter uns aufgebäumt und uns ein hübsches Tänzchen aufgeführt.“
„Aye, allerdings, Käpt’n“, stimmte Stevens sehnsüchtig zu. „Die anderen und ich, uns geht es auch nicht mehr so wie früher, als wir noch Seeleute waren.“ Der Erste Offizier lehnte sich an einen Baum und zupfte traurig an der Strickmütze herum, die sein strähniges weißes Haar bedeckte. „Ich hatte ja keine Ahnung, wie viel es mir bedeutet hat, Erster Offizier zu sein, bevor es vorbei war. An einem Tag ist man noch Matrose, am nächsten ...“, er breitete die Hände aus, und die schwieligen Finger zitterten kaum merklich, „... ist man nichts, gar nichts mehr, so fühlt es sich an.“
Tristan biss die Zähne zusammen. Irgendetwas geschah mit einem, wenn man als Seemann gezwungen war, dem Meer den Rücken zu kehren und wie alle Landratten auf festem Boden herumzuhumpeln. Irgendwie fühlte man sich leer. Nutzlos. Wie Strandgut, das am Ufer angespült wurde und nun langsam verrottete. Das war auch der Grund, warum er kaum noch schlief. Er war sich sicher, dass er in Einsamkeit sterben würde.
Frieden fand er nur an dem Ort, an dem er jetzt stand, auf der Klippe vor dem Cottage über dem Meer, wo er den Wind und die Gischt spüren konnte. Wenn er die Augen schloss und sich vom Gefühl und den Geräuschen tragen ließ, konnte er fast meinen, er wäre wieder auf hoher See.
Sein Bein zwickte, als er es aus Versehen belastete. Einen Augenblick war er froh um den vertrauten Schmerz. Er füllte die Leere in seiner Seele, lenkte ihn von den unausgefüllten Tagen ab, die vor ihm lagen.
„Kreuzwetter, Käpt’n!“, rief Stevens aus. „Machen Sie die Luken dicht, eine Kriegsfregatte hält direkt auf uns zu. Schaut aus, als könnte sie jeden Augenblick die Kanonen abfeuern.“
Tristan sah in die Richtung, in die Stevens blickte. Dort auf dem steilen Pfad kam eine wohlvertraute Gestalt heranmarschiert. Sie war eher klein, einen Kopf kleiner noch als Stevens, außerdem war sie eine Frau. Ohne auf den Pfad vor sich zu blicken, kam sie unbeirrt näher - sie hatte diesen Gang schon sehr oft unternommen.
Als sie das Gartentor erreicht hatte, schob sie den Riegel auf, betrat den Garten und schloss das Tor hinter sich. Der Wind zerrte an ihrem blauen Mantel, blähte ihn auf und zauste ihr streng frisiertes Haar.
Tristan blickte Stevens an. „Ich dachte, wir wollten ein Schloss am Gartentor anbringen.“
„Steht schon auf meiner Liste, Käpt’n.“
Tristan warf seinem Ersten
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