Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
Prolog
Montag, 15. Oktober 2007
19.00 Uhr
Delhi, Indien
N ur Menschen, die schon seit vielen Jahren in Delhi wohnten, konnten erkennen, dass der Berufsverkehr jetzt langsam nachließ. Dem geplagten, ungeübten Ohr erschien die Kakophonie aus Hupen, Sirenen und quietschenden Reifen vollkommen unverändert, genau wie das dichte Gedränge auch. Es gab farbenprächtig bemalte Busse, die im Inneren ebenso viele Passagiere beförderten wie außen und auf dem Dach. Es gab alle möglichen Autos, angefangen bei einem riesigen Mercedes bis hin zu einem winzigen Maruti, ganze Pulks aus schwarz-gelben Taxis, Motorrikschas, diverse Motorräder und Motorroller, die oft eine ganze Familie beförderten, sowie Schwärme von klapprigen schwarzen Fahrrädern. Tausende Fußgänger schlängelten sich zwischen dem zäh fließenden Verkehr hindurch, während Horden schmuddeliger Kinder in Lumpen ihre Schmutzhände in offene Wagenfenster streckten und versuchten, ein paar Münzen zu ergattern. Kühe, Hunde und rudelweise wilde Affen spazierten durch die Straßen. Und über allem hing eine erstickende Decke aus Staub, Smog und Dunst.
Für Basant Chandra, der die gesamten siebenundvierzig Jahre seines bisherigen Lebens in dieser Stadt zugebracht hatte, war es die übliche allabendliche frustrierende Fahrt nach Hause. Bei über 14 Millionen Einwohnern musste man diesen Verkehr ertragen, und Basant hatte sich, wie alle anderen, damit arrangiert. An diesem speziellen Abend war er sogar noch etwas milder gestimmt als sonst, da er nach seinem Besuch bei Kaumudi, seinem Lieblingscallgirl, entspannt und zufrieden war.
Ganz allgemein war Basant ein fauler, jähzorniger und gewalttätiger Mann, der das Gefühl hatte, um sein Leben betrogen worden zu sein. Aufgewachsen als Sohn einer Familie aus der Kschatrija-Kaste, hatten seine Eltern ihn mit einer Frau aus der niedrigeren Vaishya-Kaste verheiratet, und obwohl sein Vater im Zusammenhang mit dieser Verbindung einen Geschäftsführerposten im Pharmaunternehmen seiner Schwiegereltern erhalten und er selbst seinen Job als Verkäufer von Tata-Lastwagen gegen eine ausgesprochen gut bezahlte Stelle als Verkaufsleiter eingetauscht hatte, fühlte Basant sich gedemütigt. Der entscheidende Schlag gegen seine Selbstachtung aber waren seine Kinder gewesen, fünf Mädchen im Alter von zweiundzwanzig, sechzehn, zwölf, neun und sechs Jahren. Seine Frau war auch einmal mit einem Jungen schwanger gewesen, hatte jedoch im fünften Monat eine Fehlgeburt erlitten. Basant gab ihr ganz offen die Schuld daran. Aus seiner Sicht hatte sie es absichtlich so weit kommen lassen, weil sie sich als Internistin dem pausenlosen Stress in einem öffentlichen Krankenhaus ausgesetzt und sich dabei überarbeitet hatte. Er konnte sich noch daran erinnern, als ob es gestern gewesen wäre. Er hätte sie umbringen können.
Mit diesen Gedanken im Kopf trommelte Basant entnervt auf sein Lenkrad ein, während sein Wagen auf den reservierten Parkplatz vor dem Haus seiner Eltern glitt, in der er mit seiner Familie wohnte. Das schmutzige dreigeschossige Gebäude war irgendwann in grauer Vorzeit einmal weiß gewesen. Es besaß ein Flachdach und Fensterrahmen aus Metall. Im Erdgeschoss befand sich eine kleine Praxis, in der Meeta, seine Frau, gelegentlich ihre wenigen Privatpatienten empfing. Die übrigen Räume des Erdgeschosses gehörten seinen alten Eltern. Im ersten Stock lebte er selbst mit seiner Familie, sein jüngerer Bruder Tapasbrati und dessen Angehörige bewohnten den zweiten Stock.
Während Basant noch kritisch sein Haus beäugte, das kaum den Vorstellungen entsprach, die er für diese Phase seines Lebens einmal gehabt hatte, bemerkte er, wie sich ein Auto hinter ihn stellte und ihn einklemmte. Er warf einen Blick in den Rückspiegel und musste im Licht der Scheinwerfer die Augen zusammenkneifen. Das Einzige, das er durch den grellen Nebel erkennen konnte, war ein Mercedes-Stern.
»Was soll das denn, verdammt noch mal?«, platzte Basant heraus. Niemand durfte hinter ihm parken!
Er machte seine Wagentür auf und stieg aus, fest entschlossen, den Fahrer des Mercedes zu stellen und ihm gehörig die Meinung zu geigen. Das musste er aber gar nicht. Der Fahrer und seine beiden Passagiere standen bereits im Freien und kamen nun bedrohlich näher.
»Basant Chandra?«, sagte der Mann, der auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, in fragendem Ton. Er war nicht besonders groß, strahlte jedoch mit seiner dunklen Hautfarbe,
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