Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
und nicht im Krankenhaus landen.«
Bevor sie Fanis' Antwort hören kann, ist ihr Kopf schon wieder vornübergesunken und wippt auf und nieder. Nach kurzer Zeit wacht sie wieder auf und sagt denselben Satz noch mal. Das zerrt an meinen und Katerinas Nerven, doch Fanis findet einen Weg, sie zu beruhigen, vielleicht weil er sie nie ernst nimmt.
»Nur keine Angst, Adriani«, meint er. »Ich fahre nur hundert, aber du bist an den Mirafiori deines Mannes gewöhnt, der über dreißig nicht hinauskommt, deshalb meinst du, wir rasen.«
»Ich steige niemals in das Auto meines Mannes, Fanis«, fährt ihm Adriani über den Mund. »Denn ich habe keinerlei Lust, zu schieben und in meinem Alter mitten auf der Straße ein Schauspiel zu bieten.«
Ich fühle Fanis' Blick auf mir ruhen, doch ich betrachte durch die Windschutzscheibe lieber wortlos den vor uns fahrenden Mercedes 280 Kompressor, um nicht an einem so hochoffiziellen Tag die aktuellen und künftigen Familienmitglieder offen zu beleidigen.
Seit Jahren habe ich die Nationalstraße Athen-Lamia nicht mehr benützt. Genauer gesagt habe ich seit Jahren keine einzige Nationalstraße über die Grenzen von Elefsina oder Malakassa hinaus benützt. Die einzige darüber hinausgehende Fahrtroute der letzten Jahre ging übers Meer zur Insel, wo meine Schwägerin Eleni wohnt. Mein Heimatdorf in Epirus habe ich seit dem Tod meiner Mutter aus meinen Fahrplänen gestrichen. Nach Thessaloniki, wo Katerina studierte, bin ich bis auf gestern kein einziges Mal hochgefahren. Vielmehr geduldete ich mich, bis sie in den Weihnachts- und Osterferien zu uns nach Athen kam.
Wir biegen in die Straße nach Velestino ein, um nach Volos zu gelangen. Fanis' Eltern wohnen ein wenig außerhalb, an der Straße zum Ostpilion, in einer Maisonette griechischen Zuschnitts: unten der Laden und oben die Wohnung. Und auch der Laden ist eine Gemischtwarenhandlung griechischen Zuschnitts, die von Kurzwaren wie Näh- und Futterseide bis zu Makkaroni und Tomatensoße alles im Sortiment hat. Zunächst führen sie uns den Laden vor, und mit einemmal überkommt mich Heimweh nach der Zeit, als mein Vater, Unteroffizier bei der Gendarmerie, Ziegendieben und ich Taschendieben hinterherjagten. Und wenn ich damals einen Ehrenmord aufzuklären hatte, ging ich zum Haus des Mörders, der auf einem Stuhl sitzend mit hängendem Kopf darauf wartete, daß ich ihm Handschellen anlegte. Nun haben Supermärkte die Krämerläden griechischen Zuschnitts verdrängt, und ich jage Mafiosi hinterher, die gewissermaßen das Personal in den Supermärkten des Verbrechens sind, wo alles im Angebot ist: von Ukrainerinnen und Rauschgift bis zu Nachtlokalen und großen Bürokomplexen.
»Den meisten Umsatz machen wir sonntags, wenn die anderen Geschäfte zu sind«, erläutert Sevasti. »Wie gut, daß den Griechen viele Dinge immer erst in letzter Minute einfallen.«
»Seitdem ich die Feldarbeit aufgegeben habe und mich nur mehr auf den Laden beschränke, habe ich das Sortiment erheblich aufgestockt«, ergänzt Prodromos, ihr Mann.
»Pflanzt du keinen Tabak mehr an?« frage ich. Als sie uns besuchten, hatte er von seinem Tabakanbau erzählt.
Prodromos schüttelt traurig den Kopf. »Ich bin zu alt für die Feldarbeit, Kostas. Notgedrungen und nur halbherzig habe ich den Acker hergegeben.«
»Den hättest du schon viel früher aufgeben sollen«, mischt sich sein Sohn ein. »Dann hättest du dir den Rücken nicht kaputtgeschuftet und müßtest kein Stützkorsett tragen.«
»Ich weiß, aber die Feldarbeit ist eben mein Leben.« Er lacht wieder auf. »Gut, daß hinter dem Haus ein kleiner Garten liegt. Den bepflanze ich und tröste mich über die Tatsachen hinweg.«
»Jedenfalls haben wir das Geld für das Grundstück gut angelegt«, fügt Sevasti hinzu. »Wir haben einen Kredit aufgenommen und das Elternhaus meiner Mutter - zweistöckig mit fünf Zimmern - in Tsangarada hergerichtet. Das vermieten wir und verdienen mehr als mit dem Tabak.«
»Ihr vermietet Zimmer auf dem Pilion und wohnt in Volos?« wundert sich Adriani.
»Nein, wir vermieten das ganze Haus gleich für drei Monate an zwei oder drei deutsche Familien, die es abwechselnd benützen. So kassieren wir die Miete vorab und müssen uns nicht darum kümmern.«
»Ich kann mich noch erinnern, in der Besatzungszeit haben unsere Eltern davor gezittert, die Kommandatur könnte ihr Haus beschlagnahmen«, lacht Prodromos.
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