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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Fraser
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dieses mal war ich mit Charlie zusammen.
    Ich kann nicht wieder einschlafen, der Traum macht mir zu schaffen. Ich denke an einen Sonntagnachmittag, kurz nachdem dieser Schlägertyp Charlie mit dem Kopf gerammt hatte. Wir waren zu einem Spaziergang in Lherm aufgebrochen, denn wir wollten unbedingt irgendetwas tun, während Marc versuchte, ein Loch in einem der Heißwasserrohre zu flicken. Auch auf dem Weg zum Waschhaus konnten wir ihn noch fluchen hören. Sein »Putain, merde!« folgte uns noch ein ganzes Stück die Straße hinauf. Charlie warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu, mit einem halben Lächeln, weil sein Vater so fluchte.
    »Weißt du, Charlie«, fing ich an, »wenn dieser Junge dich noch ein einziges mal schief anguckt, möchte ich, dass du es mir erzählst.«
    Er zuckte die Achseln. »Meinetwegen.«
    »Was soll das denn heißen? Hat er dir etwa schon was getan?«
    »Kann sein.«
    »Charlie, verdammt noch mal!«
    Ich schaute ihm zu, wie er auf die Steinmauer kletterte, die zum Waschhaus hinunterführte, und mit ausgebreiteten Armen auf der Kante entlangbalancierte. Er war elf, aber recht klein für sein Alter, noch ein richtiges Kind. Marc hatte versucht, mit dem Vater des jungen Rowdys zu reden, aber ohne erfolg. Er war einfach eine größere Ausgabe von seinem Sohn und obendrein Polizist.
    »Charlie, warum hast du mir nichts davon erzählt?«
    »Darum ...« Lächelnd sah er mich an. »Bald kann er mir nämlich nichts mehr tun.«
    »Aha? Warum?«
    Charlie sprang am lavoir von der Mauer. »Darum.«
    Das Wasser war an jenem Tag ruhig. Dicke Würmer wanden und drehten sich im Becken und warfen ihre Schatten zehnfach auf den schlammigen Grund.
    »Nämlich?«
    »Weil ...« Charlie wandte sich ab. »Ich habe dafür gesorgt, dass er's nicht mehr kann.«
    »Was hast du denn gemacht?« Ich lächelte. »ein Abkommen mit ihm geschlossen?«
    »Was geschossen?«
    »Nein, geschlossen. Egal, war bloß ein Scherz.« Ich fuhr ihm mit der Hand durch das sandgelbe Haar, das im Sonnenlicht wie Gold glänzte. Er hockte sich auf den Rand des Wasserbeckens. »Also, wie hast du dafür gesorgt?«
    Aber er verzog die Lippen und sah zu mir auf - sein Kommt- mir-nicht-in-die-Tüte- Blick.
    »Na los, Charlie!« Ich lachte. »Sag's mir! Allmählich machst du mir Angst.«
    Er lächelte. »Du weißt schon, Mummy.«
    Verwirrt sah ich ihn an. »Was denn?« Ich kauerte mich neben ihn. »Was soll ich wissen?«
    »Ach, komm, Mummy!« Charlie lächelte mich immer noch an, mit schräg gelegtem Kopf, offenbar überzeugt, dass ich Bescheid wusste.
    Doch ich hatte wirklich keine Ahnung. Dieses Mal war ich mit meiner Weisheit am Ende. Ich musste raten.
    »Kannst du mir einen Tipp geben?« dieses Spiel hatte ihm immer gefallen.
    »Na ja … Es ist was, was du selbst gut kannst.«
    »Ich?«
    Charlie nickte.
    »Ich kann die meisten Sachen gut, also ist das kein richtiger Tipp. Gib mir noch einen!«
    Ernst blickte er mir in die Augen. »Du hast gesagt, deine Grandma hätte es auch gut gekonnt.«
    Da begriff ich.
    »Du hast dir was gewünscht?« Mein Herz pochte nervös - nervös, weil dieser kleine Rüpel Charlie so zugesetzt hatte, dass er keinen anderen Ausweg mehr gewusst hatte.
    »Ja.«
    »Was hast du dir denn gewünscht, Charlie?«
    »Nein, Mummy!« Kopfschüttelnd sah er mich an, dann griff er nach einem Wurm, der sich in unsere Richtung schlängelte. »Du weißt doch, dass ich dir das nicht sagen darf. Sonst geht es nicht in Erfüllung.«
    Also ließ ich es auf sich beruhen. Aber ich glaube, inzwischen weiß ich, was Charlie sich gewünscht hatte, wie er »dafür gesorgt« hatte. Er wollte aus Lherm Weg, ebenso dringend wie ich. Also hatte er sich das ganz, ganz, ganz doll gewünscht ...
    Und das war er - unser letzter gemeinsamer Sonntag.

51
 
    I ch warte. Es kann jetzt jeden Tag kommen.
    Ich bin gerade dabei, das zweite Schlafzimmer in unserer Wohnung in Paris zu streichen. Weiß, reinweiß - wie getüncht. Im Zwiespalt mit mir streiche ich die wände mit der Rolle, tauche sie in die Farbe, drücke sie gegen das Metallgitter, um die überschüssige Farbe abzustreifen, doch trotzdem fallen Tröpfchen auf meinen dicken Bauch. In Gedanken bin ich anderswo.
    Ich erinnere mich an den letzten Sonntag vor Charlies Geburt. Er war zehn Tage überfällig, und weil ich das Warten satt hatte, war ich mit Marc zu einem Spaziergang im Centennial Park aufgebrochen. Wir gingen den Fahrradweg entlang, machten immer wieder dieselbe Runde, auf die Felsen

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