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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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im Publikum zu ignorieren, weil Störungen in aller Regel harmlos waren – heruntergefallene Taschen und Brillen, ein benötigtes Taschentuch. Nun wäre sie am liebsten unter die Bühne gekrochen.
    Die Deckenbeleuchtung und die Lampen an der Längswand gingen an. Kevin biss sich auf die Unterlippe, die von der Brille umrahmten Augen auf die Wand gegenüber geheftet. Pilar drehte sich zu den Zuschauern um. Weil die meisten aufgestanden waren, konnte sie nicht sehen, was im hinteren Teil des Saals vor sich ging. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, aber es nutzte nichts. Die Leute vor ihr waren größer und reckten sich ebenfalls.
    Auf einmal entstand eine Lücke zwischen den Körpern und gab den Blick auf die getäfelte Wand hinter der letzten Stuhlreihe frei. Dort beugten sich die Menschen über irgendetwas oder irgendjemanden, andere pressten sich die Hände vors Gesicht. Zwei Köpfe hoben sich.
    »Ein Arzt! Ist ein Arzt hier?«
    Es klang dringend, verzweifelt. Eine Antwort blieb aus.
    »Notarzt!«, rief ein Mann von hinten. »112!«
    »Und Polizei!«, schrie ein anderer.
    Vor der Saaltür erschien Ritas hochroter Kopf. Ihre rundliche Hand stieß den Türflügel auf, Sekunden später ging im Flur das Licht an.
    »Legt sie aufs Sofa im Klubraum«, schlug eine Frau vor.
    »Wozu?«, kreischte eine zweite. »Sie ist tot!«
    Pilars Knie drohten einzuknicken. Tot …
    »Vielleicht nur bewusstlos«, meinte die erste Frau.
    »Schlaganfall«, äußerte sich ein beleibter Herr neben Pilar. »Ist das Wetter dafür.«
    »Und diese Luft!«, sagte die Frau an seiner Seite. »Die Wärme hier hält nicht jeder aus.«
    »Man muss alles so lassen«, erhob sich die Männerstimme, die nach der Polizei verlangt hatte.
    »Wer ist es?«, flüsterte Pilar gegen die Rücken vor ihrer Nase. Niemand antwortete.
    Worte zischelten durch die Reihen. Pilar verstand nicht, was die Leute einander zuraunten, bis die Worte bei ihr ankamen.
    »Erstochen … Ermordet …«
    Das kann nicht sein, schoss es Pilar durch den Kopf, Kevins Auftritt hatte mit dem verdammten Satz alle durcheinandergebracht.
    »Bitte bleiben Sie an Ihren Plätzen, bis die Polizei kommt.« Wieder derselbe Mann. »Der Täter …« Die Stimme des Mannes stockte.
    Der Täter. Das musste man erst mal begreifen.
    »… ist unter uns«, vollendete der Mann seinen Satz.
    Oder durch die Saaltür entkommen, dachte Pilar. Wäre das jemandem aufgefallen? Im Flur war es finster gewesen. Die Finsternis, auf der sie selbst bestanden hatte.
    Musste sie irgendwas tun? Sie war die Leiterin der Theatergruppe. Trug sie Verantwortung dafür, dass kein Chaos ausbrach? Musste sie Polizei und Notarzt anrufen, oder erledigte Rita das? Erwartete man von ihr, dass sie die Stimme erhob und beruhigende Worte sprach? Der Pfarrer fiel aus, er war auf Konfirmandenfahrt in der Eifel. Sie könnte auf die Bühne klettern und etwas sagen, doch woher die Worte nehmen, die richtigen, die angemessenen? War nicht jedes Wort falsch, würden die Leute nicht rufen »Seien Sie bloß still«?
    Pilar ging zu ihrem Stuhl zurück und sank darauf nieder. Das Regieheft fiel ihr aus der Hand und glitt über den Boden zwischen fremde Schuhe. Sie würde es nicht mehr brauchen.
    »Das ist ja«, flüsterte eine Frau, die neben ihr auf hohen Absätzen schwankte, die sie sicher auf einen Meter neunzig brachten, »Frau Holzbeisser.« Das Regieheft zerknitterte unter ihrem Absatz. Das Wort »Mörder« wölbte sich zur Hacke hoch.
    »Und ihr Mann ist nicht hier«, sagte eine andere Frau.
    Holzbeisser? Wer war das? In Pilars Hinterkopf summte eine schwache Erinnerung, die sie nicht packen konnte.
    »Was ist mit den Jugendlichen?«, fragte jemand hinter ihr. »Sollte man die nicht raushalten?«
    Endlich erloschen die Scheinwerfer. Kevin kauerte am Rand der Bühne und biss sich in die Faust. Die schwarze Brille lag ein paar Meter weiter auf dem Boden. Katie war verschwunden. Vor dem Paravent stand Dieter, aschfahl im Gesicht, mit hängenden Schultern, unentwegt den kahlen Kopf schüttelnd. Er fühlt sich schuldig, dachte Pilar, er hätte sofort, als er bemerkte, dass etwas nicht stimmt, nach dem Saallicht rufen können, wollte aber ohne Störung zurande kommen, das ist seine Art.
    »Ich mach nicht mehr mit«, stöhnte Kevin. »Nie wieder.«
    Nach und nach traten die anderen in gespenstiger Langsamkeit zwischen den Lautsprecherboxen und Scheinwerfern hervor. Anna, Sarah, Max und Tommy und als Letzte Katie, die ihre Perücke in der

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