Kovac & Liska 02 - In aller Unschuld
an und versuchte, die Gefühle zurückzudrängen, die ungewollt an die Oberfläche gekommen waren, während er weiter schwer atmend auf und ab lief.
Liska fragte sich, was der Auslöser für sein Verhalten sein mochte. Ein Streit mit seinem Vater? Oder der Umstand, dass der nicht einmal mehr mit ihm stritt? Die Wahrheit war, dass Wayne Haas ein gebrochener Mann war, und sie glaubte nicht, dass er jemals darüber wegkommen würde. Wie es aussah, war Bobby zu der gleichen Erkenntnis gelangt.
Der Junge wischte sich über die Augen, verlegen, weil er vor ihren Augen die Fassung verloren hatte.
»Und, was machst du hier?«, fragte Nikki, um einen etwas fröhlicheren Ton bemüht, als sie zur Werkbank ging, wo unter dem grellen Licht einer Neonleuchte Bücher und Hefte ausgebreitet lagen.
»Lernen«, sagte Bobby. »Hier kann ich das Radio laufen lassen, ohne damit meinen Dad zu stören.«
»Das muss ich meinen Jungs auch mal vorschlagen«, sagte sie und betrachtete die Bücher. Biologie, Chemie, Psychologie. »Sieht so aus, als hättest du vor, Arzt zu werden.«
»Ich will Pathologe in der Gerichtsmedizin werden.«
»Kluge Entscheidung.« Gruselig unter den gegebenen Umständen, aber es war vermutlich besser, als wenn er ihr erklärt hätte, er wolle sein Leben damit verbringen, Gräber zu schaufeln. Bei all den Tragödien, die er in seinem kurzen Leben bereits erlebt hatte, war es irgendwie nachvollziehbar. »Deine Patienten können dich nie wegen eines Behandlungsfehlers verklagen. Sie sind schon tot.«
»Stimmt«, sagte er und brachte ein Lächeln zustande.
»Du hast dir hier ja ein richtiges Büro eingerichtet.«
Bobby hatte einige der Regalbretter über der Werkbank zu einem Bücherregal umfunktioniert. Auf die Platte hatte er große Marmorfliesen gelegt, auf denen er seine Schulsachen ausbreiten konnte. In verschiedenen Bechern und Wassergläsern steckten ordentlich sortiert Füller und Stifte. Es gab Ablagekästen, in denen Hefte und schmale Ordner lagen. Dieses Maß an Ordnung war erschreckend für eine Frau, deren Ablagesystem darin bestand, ihren Esszimmertisch mit Unterlagen und Papieren vollzustapeln.
Bobby stellte sich zwischen sie und die Werkbank, als befürchtete er, sie könnte versuchen, seine Chemie-Aufzeichnungen zu klauen.
Liska betrachtete es als persönlichen Triumph, dass sie Kyle und R.J. dazu gebracht hatte, auf dem Boden ihres Zimmers einen Trampelpfad frei zu lassen, damit sie wenigstens fliehen konnten, wenn es einmal brennen sollte. Dieser Junge bewahrte seine Büroklammern nach der Größe sortiert auf.
»Ich sollte dich mal zu mir einladen und meine Küche aufräumen lassen«, sagte sie. »Aber dann müsste ich wahrscheinlich kochen.«
Er hatte einen Eingangskorb und einen Ausgangskorb für Rechnungen und Bankbelege.
»Du bezahlst die Rechnungen?«, fragte sie.
»Wenn ich es Dad überlasse, passiert es nie.«
Auch wenn Wayne Haas sich in einer schweren Krise befinden mochte, fand sie es merkwürdig, dass er diese Verantwortung einem Siebzehnjährigen überließ.
»Du darfst selten einfach nur ein Junge sein, oder?«
Bobby zuckte die Achseln und wich ihrem Blick aus. »Das ist egal. Ich musste mich immer um alles selbst kümmern.«
In seinen Worten schwang ein bitterer Unterton mit.
»Also, was sind die guten Neuigkeiten?«, fragte er. »Sie sagten doch, Sie hätten gute Neuigkeiten.«
»Karl Dahl wurde heute Nachmittag erschossen«, sagte sie. »Er wird nie mehr jemandem etwas antun.«
»Gut. Es ist also vorbei?«
Liska setzte sich auf einen alten Gartenstuhl. »Soweit es Karl Dahl betrifft. Wir untersuchen immer noch den Überfall auf Richterin Moore.«
»Dann ist sie jetzt also aus dem Schneider, dass sie seine Partei ergriffen hat, weil er tot ist?«, sagte Bobby. »Sie kann leben wie bisher und immer so weitermachen?«
»Momentan ist sie im Krankenhaus«, sagte Liska. »Dahl hat sie gestern Nacht entführt. Sie hat Glück, dass sie noch am Leben ist.«
Bobby schien kein Mitgefühl aufbringen zu können. »Wenn sie einfach nur das getan hätte, was man von ihr erwartet hat, dann wäre überhaupt nichts geschehen.«
»Richterin Moore hat Karl Dahl nicht aus der Haft entkommen lassen.«
»Sie hätte ihn davonkommen lassen«, sagte der Junge. »Er hätte schon vor langer Zeit ins Gefängnis gesperrt werden müssen. Vielleicht hätte mein Dad dann einen Schlussstrich ziehen und weitermachen können.«
»Im Leben läuft nicht immer alles nach Plan, Bobby. Vieles
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