Kovac & Liska 02 - In aller Unschuld
…?«
Liska blitzte ihn wütend an. »Mach dich nicht über mich lustig, Sam. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Angst!«
Kovac drückte ihre Schulter. »Ich weiß. Ich dachte nur, eine kleine Gemeinheit zur Entspannung könnte nicht schaden.«
»Und worin liegt da der Unterschied zu deinem gewohnten Verhalten?«
»Klugscheißerin.«
Es gehörte einiges dazu, dass Liska zugab, Angst zu haben. Und jetzt würde sie zickig werden, weil jemand wusste, dass sie gar nicht so hartgesotten war, wie sie sich immer gab.
»Du hättest ihn sehen sollen, Sam. Als er sich umgedreht hat und mit dem Hammer auf mich losgegangen ist …« Sie schauderte und tat so, als wäre ihr kalt, indem sie sich mit den Händen über die Arme rieb. »Der Ausdruck in den Augen des Jungen … so etwas habe ich noch nie gesehen. Und ich will es auch nie wieder sehen.«
Bobby Haas war auf einer Trage aus der Garage geschafft und in einem Krankenwagen weggebracht worden. Und noch immer war sie völlig durch den Wind, was Kovac noch nie bei ihr erlebt hatte. Sie starrte mit finsterer Miene zu Boden, es war ihr unangenehm, dass es überall von Polizisten und den Leuten von der Spurensicherung wimmelte, die sie vielleicht ebenfalls durchschauten.
Kovac zog seinen Trenchcoat aus und legte ihn ihr um die Schultern. Sie war so klein, dass sie zweimal hineingepasst hätte. Einen Arm um sie gelegt, führte er sie zum Haus und setzte sich mit ihr auf die oberste Stufe der Veranda. Sie lehnte sich an ihn.
»Ganz ruhig, Kleine«, sagte er. »Ganz ruhig.«
Sie atmete einmal tief durch.
»Ich habe die Kollegen von der Streife gebeten, Wayne Haas zu holen. Ich werde ihm das nicht sagen. Ich kann nicht. Das musst du tun.«
»Bei dem vielen Blaulicht und den Sirenen ist er noch nicht von selbst rausgekommen?«
»Bobby hat gesagt, er wäre früh ins Bett gegangen, weil er sich nicht wohl gefühlt hat.«
»So einen Schlaf möchte ich auch mal haben«, sagte Kovac. »Wenn mein Nachbar nicht aufhört, in aller Herrgottsfrühe auf seinem Dach rumzuklopfen, zieh ich ihm auch eins mit dem Hammer über.«
Liska hörte ihm gar nicht zu. Sie sah hinauf zum Himmel und schüttelte den Kopf. »O Gott …«
»Es hat damit zu tun, dass er noch ein Junge ist«, sagte Kovac leise. »Er erinnert dich an deine Söhne.«
»Ich wollte ihm zeigen, wie leid mir das alles tut«, sagte sie. »Er hat mir wirklich leid getan. Das arme, mutterlose Kind.«
»Ich weiß nicht, ob Bobby Haas jemals ein Kind gewesen ist.«
»Vielleicht war das das Problem.«
»Und vielleicht hat er auch drei Sechsen am Hinterkopf eingebrannt«, sagte Kovac. »Gib dir keine Mühe, es herauszufinden, Liska. Das gehört aus gutem Grund nicht zu unserem Job.«
Sie konnten es nicht tun. Der emotionale Preis dafür war zu hoch, und Emotionen gingen auf Kosten der Objektivität, und wenn ein Detective eins sein musste, dann war es objektiv.
Heuchler , dachte er.
Eine Technikerin von der Spurensicherung steckte den Kopf aus der Garagentür. »Detectives, ich glaube, das sollten Sie sich mal ansehen. Becker hat die Sachen aus der Aktentasche herausgenommen, um sie zu untersuchen«, erklärte sie. »Ziemlich gruslig.«
In der Garage betrachtete Kovac die Sachen, die auf der Werkbank ausgebreitet worden waren – Careys Akten zum Fall Staat gegen Karl Dahl . Die Unterlagen, die sie mit nach Hause hatte nehmen wollen, um sie am Wochenende durchzugehen. Alles war nass und stank.
»Mein Gott, er hat draufgepinkelt!«, sagte er angewidert.
Liska war ein Stück weitergegangen und besah sich den Rest. »O mein Gott …«, flüsterte sie. »Sam …«
Alles ordentlich in Plastikbeuteln verstaut: ein Tagebuch, zwei durchsichtige Einsteckhüllen mit Fotos von Bobby und seinem Vater – beim Fangenspielen, beim Angeln, glücklich; ein halbes Dutzend große Plastikbeutel mit Zeitungsausschnitten, nach Monaten geordnet.
Massaker in Minneapolis
Grauenvolle Morde erschüttern ruhiges Wohn viertel
Tatort nach Aussage der Ermittler »ein Blutbad«
Brutale Morde werden Landstreicher zur Last ge legt
Kovac fand die Ausschnitte nicht besonders merkwürdig oder unheimlich. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Angehörigen von Mordopfern Zeitungsausschnitte mit den Berichten über den Fall aufbewahrten.
Dann lag da noch ein letzter, kleinerer Plastikbeutel.
Sein Magen schien nach unten zu sacken, und ihm brach plötzlich der kalte Schweiß aus.
»Großer Gott …«
Liska blickte zu ihm. »Was
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