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Krabat (German Edition)

Krabat (German Edition)

Titel: Krabat (German Edition)
Autoren: Otfried Preußler
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schloss er das Buch. Eine Zeit lang verharrte er nun in Schweigen, dann wandte er sich den Raben zu.
    »Ich habe euch«, sagte er, wieder mit seiner gewohnten Stimme, »ein neues Stück der Geheimen Künste gelehrt; lasst hören, was ihr davon behalten habt. Du da – fang an!«
    Er deutete mit dem Finger auf einen der Raben und hieß ihn, den Text und den Zauberspruch wiederholen.
    »Dies ist die Kunst  … einen Brunnen versiegen zu machen, dass er  … von einem Tag auf den andern kein Wasser gibt  … «
    Der Müller bestimmte bald diesen Raben, bald jenen und fragte ihn ab. Zwar nannte er keinen der zwölf beim Namen, doch an der Art, wie sie sprachen, vermochte der Junge sie auseinanderzuhalten; Tonda sprach selbst als Rabe gelassen und wohlbedacht, Kito mit einem unüberhörbaren Ton der Verdrossenheit in der Stimme und Andrusch war mit dem Schnabel genauso hurtig wie mit der Zunge, während sich Juro beim Wiederholen schwertat und häufig stecken blieb – kurz, es gab keinen im ganzen Schwarm, den Krabat nicht bald erkannt hätte.
    »Dies ist die Kunst, einen Brunnen versiegen zu machen  … «
    Wieder und immer wieder der Text aus dem Höllenzwang mit dem Zauberspruch: bald geläufig, bald stockend, ein fünftes, ein neuntes, ein elftes Mal.
    »Und jetzt du!« – damit wandte der Meister sich an den Jungen.
    Krabat begann zu zittern, er stammelte: »Dies ist die Kunst  …  – ist die Kunst, einen  …  – einen Brunnen  … «
    Hier brach er ab und verstummte. Er wusste nicht weiter, beim besten Willen nicht. Würde der Meister ihn strafen?
    Der Meister blieb ruhig.
    »Ein nächstes Mal, Krabat, solltest du mehr auf die Worte achten als auf die Stimmen«, sagte er. »Überdies musst du wissen, dass niemand in dieser Schule zum Lernen gezwungen wird. Prägst du dir ein, was ich aus dem Koraktor vorlese, ist es zu deinem Nutzen – andernfalls schadest du nur dir selber, bedenke das.«
    Hiermit schloss er die Unterweisung, die Tür tat sich auf, die Raben entschwirrten. Im Hausflur nahmen sie Menschengestalt an. Auch Krabat wurde, er wusste nicht wie und von wem, zurückverwandelt – und während er hinter den Müllerburschen die Bodenstiege hinauftappte, kam er sich vor wie nach einem wirren Traum.

 
    Am folgenden Tag, dem Karsamstag, brauchten die Mühlknappen nicht zu arbeiten, was die meisten von ihnen zum Anlass nahmen, sich nach dem Frühstück wieder aufs Ohr zu legen.
    »Auch du«, sagte Tonda zu Krabat, »solltest hinaufgehen und auf Vorrat schlafen.«
    »Auf Vorrat – wieso?«
    »Du wirst es erfahren. Leg dich jetzt hin und versuch zu schlafen, solang du kannst.«
    »Schön«, maulte Krabat, »ich geh ja schon  … Und entschuldige, dass ich gefragt habe  … «
    Auf dem Dachboden hatte jemand das Giebelfenster mit einem Tuch verhängt, das war gut so, da schlief es sich rascher ein.
    Krabat legte sich auf die rechte Seite, den Rücken zum Fenster, den Kopf in die Arme geschmiegt. So lag er und schlief, bis Juro ihn wecken kam.
    »Aufstehen, Krabat, das Essen steht auf dem Tisch!«
    »Was – schon Mittag?«
    Juro zog lachend das Tuch vom Fenster weg.
    »Mittag ist gut!«, rief er. »Draußen geht bald die Sonne unter!«
    An diesem Tag gab es für die Mühlknappen Mittag- und Abendessen in einem, besonders fett und besonders reichlich, fast schon ein Festmahl.
    »Esst euch nur tüchtig satt!«, mahnte Tonda. »Ihr wisst ja, es muss eine Weile vorhalten!«
    Nach dem Essen, bei Anbruch der Osternacht, kam der Meister zu ihnen in die Gesindestube und schickte die Burschen aus, sich »das Mal zu holen«.
    Sie bildeten einen Kreis um ihn, dann begann er sie auszuzählen, wie Kinder es tun, wenn sie Schwarzer Mann spielen oder Der-Fuchs-geht-um. Mit Worten, die fremd und bedrohlich klangen, zählte der Meister je einmal von rechts nach links und von links nach rechts. Beim ersten Mal traf es Staschko, beim zweiten Mal Andrusch. Schweigend verließen die beiden den Kreis und entfernten sich, während der Meister aufs Neue zu zählen anfing. Jetzt waren es Merten und Hanzo, die gehen mussten, dann Lyschko und Petar – zum Schluss blieben Krabat und Tonda übrig.
    Ein letztes Mal wiederholte der Meister die dunklen Worte, langsam und feierlich; dann entließ er die beiden mit einer Handbewegung und wandte sich ab.
    Tonda bedeutete Krabat, dass er ihm folgen möge. Schweigend verließen auch sie die Mühle, schweigend gingen sie miteinander zum Holzschuppen.
    »Warte hier
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