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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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unwahrscheinlich. Es ist möglich, jemanden zu >benützen<, den man nicht persönlich gesehen hat - schwierig, aber möglich. Ich habe es selbst schon mehrmals gemacht, wenn ich einen konditionierten Handlanger benützt habe, um Kontakt herzustellen. Hier bot sich ein zweifaches Problem: Erstens würde es schwierig sein, jemanden zu verhören, während man ihn >benützte<. Obwohl die Oberfläche ihrer Gedanken schwach schimmert, besonders im Augenblick des Kontakts, bewirkt aber die Unterdrückung ihres Willens, die so zwingend erforderlich ist, will man sie >benützen<, auch daß das vernünftige Denken des Opfers gehemmt oder ausgeschaltet wird. Ich würde die Gedanken dieses dicken Negers ebensowenig lesen können wie er meine. Ihn zu >benützen< wäre, als würde man für eine kurze Fahrt in einem abstoßenden, aber notwendigen Transportmittel sitzen; ich würde ans Ziel kommen, aber keine Fragen beantwortet bekommen. Zweitens, wenn ich meine Konzentration so weit verlagerte, daß ich den Jungen >benützen< konnte - eventuell um ihn in Annes Haus zurückzubringen -, war ich nicht sicher, ob meine Konditionierung Vincents ausreichen würde, diesen daran zu hindern, seinen eigenen Impulsen zu folgen und dem Neger die Kehle durchzuschneiden.
    Ein Dilemma.
    Letztendlich ließ ich Vincent den Jungen dort festhalten, während ich Anne zu ihnen schickte. Es gefiel mir nicht, allein zu bleiben - nicht einmal in Grumblethorpe -, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich wollte den Jungen nicht in eines der beiden Häuser zurückbringen, wenn die Möglichkeit bestand, daß er und Vincent gesehen wurden.
    Anne fuhr den DeSoto, den sie auf der Straße parkte und sorgfältig abschloß. Es fiel ihr schwer, durch das Kellerfenster zu klettern, daher ließ ich Vincent den schweren Jungen nach unten zerren, wo die beiden die Seitentür aufbrachen. Es war schon recht dunkel in dem Zimmer im Erdgeschoß, als Anne mit ihren Fragen anfing.
    »Woher stammt das Foto?«
    Die Augen des Jungen wurden noch größer, er leckte sich die Lippen. »Was für ‘n Foto?«
    Vincent schlug den Jungen, tief, sehr fest. Der Neger stöhnte, zappelte. Vincent hielt ihm das Messer an den wunden Hals.
    »Die Fotografie der alten Dame. Einer der Jungs, die am Samstag gestorben sind, hatte sie bei sich«, sagte Anne leise. Wegen der Konditionierung war es nicht schwer, sie zu >benützen< und gleichzeitig Vincent zurückzuhalten.
    »Sie meinen die Voodoo-Lady«, keuchte der Junge. »Aber das sind nicht Sie.«
    Anne lächelte, als ich es tat. »Wer ist die Voodoo-Lady?«
    Der Junge versuchte zu schlucken. Sein Gesichtsausdruck war komisch.
    »Die Frau, die den weißen Wi . die diesen Typen tun läßt, was er tut. Das hat die Frau gesagt.«
    »Welche Frau?«
    »Die so komisch redet.«
    »Inwiefern redet sie komisch?«
    »Sie wissen schon«, keuchte der Junge, als hätte er einen Wettlauf hinter sich, »wie der fette weiße Polyp. Als wäre sie von irgendwo aus’m Süden.«
    »Und sie hat das Foto gebracht? Oder war es der . übergewichtige Polizeibeamte?«
    »Sie war es. Vorgestern. Hat nach der Voodoo-Lady gesucht. Marvin hat das Bild gesehn und sich gleich erinnert. Jetzt suchen wir alle.«
    »Nach der Frau auf dem Foto. Der ... Voodoo-Lady.«
    »Ja.« Der Junge wollte wegkriechen. Vincent schlug ihm mit dem Handrücken seitlich an den Kopf, drehte ihn herum, rammte ihn zweimal gegen die Wand und zerrte ihn an seinem zerrissenen Hemd hoch. Die Messerspitze war einen Zentimeter vom Auge des Negers entfernt.
    »Wir werden weiterreden«, sagte Anne leise. »Du wirst mir alles erzählen, was du weißt. «
    Der Junge tat, wie ihm befohlen wurde.
    Zuletzt schickte ich Vincent aus dem Zimmer, bevor ich den Jungen >benützte<. Es gab keine Schwierigkeiten. Ich konnte den lockeren, übertriebenen Gang des Jungen nicht nachahmen, aber dazu bestand auch keine Veranlassung. Wichtiger war seine Sprechweise - Tonfall, Vokabular, Syntax. Ich ließ ihn über eine Stunde mit Anne sprechen, ehe ich anfing, ihn direkt zu >benützen<. Er leistete keinen richtigen Widerstand. Zuerst fielen mir Sprech- und Ausdrucksweise schwer, aber als ich mich entspannte und der unbewußten Vorliebe des Jungen für Dialekt freien Lauf ließ, gelang es mir, in einer Weise durch ihn zu sprechen, die ich für glaubwürdig hielt.
    Anne fuhr die beiden in die Nähe von Grumblethorpe zurück, wo sie Vincent und den Jungen, Louis, an der Ecke absetzte. Vincent verschwand ein paar Minuten und kam mit

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