Kraft des Bösen
schlagen wir sofort zu. Wenn nicht, terminieren wir den Juden, machen die alte Frau alle und warten ab, was sich tut.«
»Welchen Juden?« fragte Tony Harod.
»Einen alten Handlanger Ihres Freundes Willi«, sagte Colben.
»Barent hat eine seiner Neunundzwanzig-Dollar- fünfundneunzig-Konditionierungen an ihm vorgenommen und will ihn auf den alten Hunnen loslassen.«
»Hören Sie auf, ihn >meinen Freund< zu nennen«, schnappte Harod.
»Klar«, sagte Colben. »Hört sich >Ihr Boß< besser an?«
»Hört auf, ihr beiden«, sagte Kepler emotionslos. »Schildern Sie Harod den Plan.«
Colben beugte sich nach vorn und sagte etwas zu dem Piloten. Sie schwebten reglos fünfzehnhundert Meter über der graubraunen Geometrie von Germantown. »Donnerstag morgen riegeln wir das ganze Viertel ab«, sagte Colben. »Niemand kommt rein, niemand kommt raus. Wir werden den genauen Aufenthaltsort der Fuller ausfindig machen lassen. Die Nächte verbringt sie meistens in dieser alten Hütte Grumblethorpe in der Germantown Avenue. Haines wird sich mit einem taktischen Team gewaltsam Zutritt verschaffen. Agenten werden sich um die Bishop und den Jungen kümmern, den sie benützt hat. Bleibt nur noch Melanie Fuller selbst. Und die gehört ganz allein Ihnen, Tony.«
Harod verschränkte die Arme und sah auf die menschenleeren Straßen hinunter. »Was dann?«
»Dann terminieren Sie sie.«
»Einfach so?«
»Einfach so, Harod. Harod sagt, Sie können >benützen<, wen Sie wollen. Aber Sie müssen derjenige sein, der es erledigt.«
»Warum ich?«
»Obolus, Harod. Obolus.«
»Ich habe gedacht, Sie wollten sie verhören.«
Kepler ergriff das Wort. »Wir haben daran gedacht, aber Mr. Barent hat entschieden, daß es wichtiger ist, sie zu neutralisieren. Unser wahres Ziel ist es, den alten Mann aus seinem Versteck zu locken.«
Harod kaute an seinem Daumennagel und sah auf die Dächer hinunter. »Und wenn es mir nicht gelingt, sie zu ... terminieren?«
Colben lächelte. »Dann pusten wir sie weg, und der Platz im Club bleibt frei. Was keinem das Herz brechen wird, Harod.«
»Aber wir müssen es immer noch mit dem Juden versuchen«, sagte Kepler. »Wir wissen nicht, was dabei herauskommt.«
»Wann geht das los?« fragte Harod.
Colben sah auf die Uhr. »Es hat schon angefangen«, sagte er. Er winkte dem Piloten, er solle tiefer gehen. »Möchten Sie sehen, was passiert?«
28. Kapitel
Melanie
Wir hatten ein ruhiges Wochenende.
Am Sonntag bereitete Anne ein vorzügliches Abendessen für uns drei. Das Schweinegeschnetzelte war ausgezeichnet, aber ich fand, daß sie dazu neigte, das Gemüse zu verkochen. Vincent räumte den Tisch ab, während Anne und ich Tee aus ihren feinsten Porzellantassen tranken. Ich dachte an mein eigenes Wedgwood-Service, das in Charleston verstaubte, und verspürte einen Anflug von Traurigkeit und Heimweh.
Obwohl ich neugierig wegen des Fotos war, war ich zu müde, Vincent an diesem Abend loszuschicken. Alles konnte warten. Wichtiger waren die Stimmen im Kinderzimmer. Sie wurden jeden Abend deutlicher und waren mittlerweile fast verständlich. In der Nacht zuvor, nachdem ich Vincent gebadet hatte und bevor ich schlafen gegangen war, hatte ich das Flüstern in einzelne Stimmen zerlegen können. Es waren mindestens drei - ein Junge und zwei Mädchen. Es kam mir unwahrscheinlich vor, daß man Kinderstimmen in einem zweihundert Jahre alten Kinderzimmer hören konnte.
Am Sonntag abend kehrten Anne und Vincent nach neun mit mir nach Grumblethorpe zurück. In der Nähe heulten Sirenen. Nachdem wir die Türen und Läden gesichert hatten, ließ ich Anne im Salon und Vincent in der Küche und ging nach oben. Es war eine kalte Nacht. Ich kroch unter die Decke und sah, wie die Heizstäbe in dem schattigen Zimmer glühten. Die Augen des lebensgroßen Knaben spiegelten das Licht, seine wenigen verbliebenen Haarbüschel leuchteten orange.
Die Stimmen waren sehr deutlich.
Am Montag schickte ich Vincent los.
Es gefiel mir nicht, ihn bei Tage ausgehen zu lassen; es war eine schlimme Gegend. Aber ich mußte über das Foto Bescheid wissen.
Vincent hatte das Messer und den Revolver bei sich, den ich von dem Taxifahrer in Atlanta geliehen hatte. Er kauerte auf dem herausgerissenen Rücksitz eines abgestellten Autos, wo er mehrere Stunden lang vorübergehende farbige Teenager beobachtete. Einmal steckte ein Betrunkener mit Bartstoppeln den Kopf zum hinteren Fenster hinein und brüllte etwas, aber Vincent machte den Mund
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