Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
auf und zischte, worauf sich der Betrunkene hastig verzog.
    Schließlich sah Vincent jemanden, den er kannte. Es war der dritte Junge, der Samstag nacht weggelaufen war. Er befand sich in Begleitung eines untersetzten Teenagers und eines älteren Jungen. Vincent ließ ihnen einen Block Vorsprung und folgte ihnen.
    Sie gingen an Annes Haus vorbei und weiter Richtung Süden, wo die Vorortbahnlinie eine künstliche Schlucht bildete. Eine schmale Straße verlief in östlicher und westlicher Richtung, und die drei Jungs betraten ein leerstehendes Mietshaus. Bei dem Bauwerk handelte es sich um die windschiefe Karikatur einer Vorkriegsvilla; vier überproportionale Säulen, die ein Flachdach stützten, hohe Fenster mit verfaulenden Holzrahmen und die Überreste eines schmiedeeisernen Zaunes umgrenzten einen Platz mit gefrorenem Unkraut und rostenden Blechdosen. Die Fenster des Erdgeschosses waren vernagelt, die Haupttür mit einer Kette versperrt, aber die Jungs gingen zu einem Kellerfenster, wo die Gitter verbogen und die Scheiben eingeschlagen worden waren, und stahlen sich dort hinein.
    Vincent trabte die vier Blocks zu Annes Haus zurück. Ich ließ ihn das große Daunenkissen von Annes Bett holen, in seinen übergroßen Rucksack stopfen und wieder zu dem Mietshaus zurücklaufen. Es war ein grauer, deprimierender Tag. Schnee fiel in ziellosen Flocken vom tiefhängenden Himmel. Die Luft roch nach Autoabgasen und alten Zigarren. Es herrschte kaum Verkehr. Ein Zug brauste vorbei, als Vincent den Rucksack durch das Fenster schob und dann selbst hineinschlüpfte.
    Die Jungs hielten sich im zweiten Stock auf und kauerten zwischen Mörtelbrocken und gefrorenen Lachen in einem engen Kreis auf dem Boden. Fenster waren eingeschlagen worden, durch das verfallene Dach konnte man stellenweise grauen Himmel sehen. Graffiti bedeckten jeden Zentimeter der Wände. Alle drei Jungs hockten auf den Knien, als würden sie das weiße Pulver anbeten, das in Löffeln über einer offenen Flamme in einer Konservendose blubberte. Die linken Arme hatten sie freigemacht; um jeden Bizeps war fest ein Gummiband geschnürt. Auf schmutzigen Lappen vor ihnen lagen Spritzen. Ich sah durch Vincents Augen, und mir wurde klar, es handelte sich hierbei wirklich um ein Sakrament - das heiligste Sakrament der modernen Kirche der Verzweiflung des Großstadtnegers.
    Die beiden Jungs sahen auf und erblickten Vincent gerade, als er aus seinem Versteck kam und das Kissen wie einen Schild vor sich hielt. Der Junge - den wir Samstag nacht entkommen ließen - wollte gerade aufschreien, als Vincent ihm durch den offenen Mund schoß. Federn stoben wie Schnee herum, es roch nach verbranntem Kissenbezug. Der ältere Junge wirbelte herum und versuchte, auf Knien zu entkommen, wobei er über Mörtelbrocken fiel. Vincent feuerte noch zweimal, der erste Schuß traf den Jungen in den Magen, der zweite ging fehl. Der Junge warf sich herum, hielt sich den Bauch und zappelte wie ein Meeresbewohner, der an ein lebensfeindliches Ufer geschleudert worden war. Vincent drückte das Kissen fest auf das entsetzte Gesicht des Negers, preßte die Pistole hinein und schoß noch einmal. Nach einem letzten heftigen Tritt hörten die Zuckungen auf.
    Vincent hob den Revolver und drehte sich zu dem dritten Jungen um. Es war der Schwergewichtige. Der kniete an derselben Stelle, hatte die Spritze noch über dem linken Arm erhoben und die Augen aufgerissen. Sein dickes, schwarzes Gesicht nahm einen Ausdruck an, der religiöser Ehrfurcht und Unterwürfigkeit gleichkam.
    Vincent ließ die Pistole in die Jackentasche gleiten und klappte das lange Messer auf. Der Junge setzte sich in Bewegung - langsam -, jede Regung so beschwerlich, als befände er sich unter Wasser. Vincent trat ihn gegen die Stirn, so daß er nach hinten kippte, und kniete auf seine Brust. Die Spritze schlitterte auf dem dreckigen Fußboden davon. Vincent stieß dem Jungen unmittelbar rechts vom Adamsapfel die Messerspitze unter die Haut.
    Da wurde mir klar, daß ich ein Problem hatte. Ich mußte im Augenblick eine Menge Energie aufwenden, um Vincent zurückzuhalten. Ich war darauf angewiesen, daß mir dieser Junge von der Fotografie erzählte; wer sie nach Philadelphia gebracht hatte, wie sie in die Hände dieses farbigen Abschaums gelangt war und wozu sie sie brauchten. Aber Vincent konnte die Fragen nicht stellen. Ich hatte vage mit dem Gedanken gespielt, den Jungen direkt zu >benützen<, aber das schien mir jetzt

Weitere Kostenlose Bücher