Krampus: Roman (German Edition)
laufen, und bis sie die beiden endlich in die Höhle gebracht hatten, war der Morgen fast vorbei. Nipi führte sie zu einem Steinhaufen ganz hinten in dem Gewölbe. Dort legten sie die Leichen neben den toten Makwa, Krampus in der Mitte, und bedeckten sie ebenfalls mit Steinen. Abschließend breiteten sie Wipis Mantel über die Steine, während sie das Grab des Herrn der Julzeit ungeschmückt ließen.
Eine Weile starrten sie stumm auf die drei Steinhaufen.
Jesse brach das Schweigen. »Ein Gebet würde er vermutlich nicht wollen?«
Isabel schüttelte den Kopf, und ein Lächeln ließ ihre Mundwinkel zucken. »Nein, aber ich weiß, was ihm gefallen würde.«
Zusammen sammelten sie einen Armvoll Mistelzweige, und Nipi schnitt einige Birkenruten, die Isabel zu einem Bündel schnürte. Sie drapierten die Mistelzweige um das Grab und legten die Birkenruten obenauf. Als sie fertig waren, begann es zu schneien.
»Wir müssen zurück, sonst sitzen wir hier oben bald fest«, sagte Jesse.
Isabel nickte, und sie verließen die Höhle. Nipi blieb zurück.
»Nipi«, rief Isabel. »Komm schon, wir müssen los.«
Er schüttelte den Kopf.
»Du kannst hier nicht bleiben«, sagte Isabel.
»Doch, ich gehöre hierher.«
»Du gehörst nicht in eine stinkige alte Höhle. Du bist wieder ein Mensch, falls dir das noch nicht aufgefallen ist, und du wirst dir hier oben noch den Tod holen.«
»Ich habe viele Lebensalter gelebt. Ich hatte die Ehre, dem mächtigen Julgeist zu dienen. Wenn die großen Vorväter mich zu sich rufen … dann bin ich bereit.«
»Du willst also hier oben rumsitzen, bis du erfroren bist? Nicht mit mir.« Isabel kehrte zu ihm zurück und setzte sich auf einen Felsbrocken. »Wenn du nicht mitkommst, dann bleiben wir eben beide hier, bis wir steif gefroren sind. Was hältst du davon?«
Nipi grinste. »Du bist wirklich seine kleine Löwin. Ich habe nicht vor zu erfrieren. Ich werde den Rest meines Lebens damit verbringen, diese heilige Höhle zu bewachen.«
»Aber warum?«
»Sag mir, was hat mir diese neue Welt zu bieten?«
Sie saß noch eine gute Minute lang da, doch ihr wollte keine Antwort einfallen. Langsam wich die Sturheit aus ihrer Miene, und sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Dann erhob sie sich und boxte ihm leicht gegen den Arm. »Du hast nur Unsinn im Kopf, weißt du das?«
Er nickte.
Isabel wandte sich ab, hielt aber noch einmal inne, drehte sich zu ihm um und schloss ihn in die Arme.
Nipi hielt sie fest umarmt. »Ich werde dich auch vermissen, kleine Löwin.«
»Das wirst du nicht«, sagte sie und gab sich alle Mühe, wütend auszusehen. Sie wischte sich über die Augen und ließ ihn bei den Gräbern stehen. Am Höhleneingang rief sie ihm zu: »Falls du dich jemals umentscheiden solltest, komm mich suchen, hörst du?«
Nipi antwortete nicht.
Gemeinsam stapften Isabel und Jesse zum Wagen zurück. Einmal meinten sie, den Shawnee singen zu hören.
***
»Dort«, sagte Isabel und zeigte auf eine kleine Kirche.
Jesse hielt davor an. Es war kurz nach Mittag an einem Sonntag, und der Parkplatz war fast voll.
»Sie hat sich kaum verändert«, sagte sie.
»Bist du dir sicher, dass ich nicht auf dich warten soll? Was, wenn dein Sohn gar nicht dort drin ist?«
Isabel holte tief Luft. »Irgendjemand ist dort drin.« Damit nahm sie das Band von ihrem Hals, riss den Hochzeitsring ab und hielt ihn in der Hand. Eine ganze Weile starrte sie ihn an, bevor sie ihn sich auf den Ringfinger steckte. »Er passt noch immer.«
»Hast du Angst?«
Sie begegnete seinem Blick. »Ich habe Angst, dass er mich nicht kennenlernen will, falls ich ihn finde. Das beschäftigt mich am meisten.«
»Wenn du hier einfach so auftauchst, wird das für eine Menge Verwirrung sorgen. Die Leute werden es nicht verstehen. Du könntest in Schwierigkeiten geraten.«
»Keiner wird mich daran hindern, meinen Jungen zu suchen«, gab Isabel hitzig zurück, und Jesse wurde klar, dass sie sich nicht so leicht unterkriegen ließ.
Krampus hatte diese junge Frau seine kleine Löwin genannt. Der Gedanke entlockte Jesse ein Grinsen. »Dann sollten die Leute sich wohl besser in Acht nehmen.«
»Du sagst es.« Sie erwiderte sein Grinsen und berührte ihn an der Hand. »Was ist mit dir? Kommst du zurecht?«
»Ich weiß es noch nicht genau. Ich und Linda haben viel zu klären … und viele Verletzungen zu verwinden. Das wird ein harter Brocken Arbeit.«
»Jemand sollte dieser Frau mal sagen, was für ein verdammtes Glück sie hat,
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