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Krank für zwei

Krank für zwei

Titel: Krank für zwei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Heinrichs
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war ein ganz und gar vollständiger Mensch, nur so klein und zerbrechlich, daß man es kaum glauben konnte. Ihre Augen waren geöffnet. Es sah aus, als wolle sie möglichst viel von ihrer neuen Umgebung sehen.
    »Sie hat deine Nase«, sagte ich, beugte mich zu Alexa hinüber und küßte sie. »Sie hat wirklich deine Nase.«
    Alexa lächelte. Wie hatte ich nur denken können, alle Babys sähen gleich aus? Dieses unser Kind hatte eine Nase wie Alexa, und wenn ich ganz ehrlich war, glaubte ich, das Kinn meines Vaters zu erkennen. Unser Mädchen hatte große blaue Augen mit Wimpern, die sich jedes Model wünschen würde. Unser Kind war einzig und unverwechselbar. Ein Wunder der Natur und das größte Glück, das ich in meinem Leben je empfunden hatte.
    »Ich störe Sie ungern«, sagte die Ärztin und deutete auf meine Seite. »Aber meinen Sie nicht, Sie sollten sich verbinden lassen?«
    Ich warf einen Blick auf meinen Arm. Das Sweatshirt war mittlerweile rot, und jetzt färbte sich auch das Laken, auf dem ich lag.
    Alexa sah mich erschrocken an. »Du bist verletzt?«
    »Nur ein Kratzer, glaub mir.« Trotzdem erhob ich mich. Beim Aufstehen wurde mir etwas schummrig. »Ich lasse mir eben einen Verband anlegen. Bin gleich wieder da.« Noch einmal beugte ich mich nach unten. »Paß gut auf sie auf.«
    Die Ärztin führte mich in einen Raum nebenan.
    »Ich habe jemanden von der Chirurgie rufen lassen«, sagte sie und deutete auf eine Liege. »Die kennen sich mit solchen Sachen besser aus. Legen Sie sich bitte hin. Ich nehme dann mal diesen Pullover ab, damit wir sehen, womit wir es zu tun haben.« Kaum hatte sie das gesagt, öffnete sich die Tür. Ein junger Arzt kam herein. Ich wäre beinahe umgefallen.
    »Dr. Wolkov«, stammelte ich. »Ich dachte –«
    »Falsch gedacht«, murmelte der Arzt und grinste breit. »Aber da sind Sie nicht der einzige.«
    »Aber die Medikamente?«
    »Die habe ich nicht genommen, glauben Sie mir.« Dann begann er, mein Sweatshirt vom Arm zu wickeln. Ich starrte ihn immer noch ungläubig an.
    »Wissen Sie, was Schlimmstes ist, was einem Mann passieren kann?« Wolkov sah mich durchdringend an. Ich schüttelte schweigend den Kopf.
    »Wenn er die falsche Frau geheiratet hat.« Der russische Arzt hielt noch einmal inne. »Ich wollte sie beschützen. Ich wollte nichts sagen. Sie nimmt das Zeug schon seit über ein Jahr. Mal hatte sie es von der Inneren, wo sie gearbeitet hat, mal bettelte sie, ich müsse ihr etwas besorgen. Ich wollte das nicht. Ich wollte das wirklich nicht, aber immer sagte sie, dann ginge sie weg.«
    »Hat Peuler davon gewußt?«
    »Ja, er ist dahintergekommen. Nach einer OP ist irgend jemand aufmerksam geworden, und dann habe ich auch noch ein Medikament auf seinen Namen eingetragen. Er hat mich in Grund und Boden gebrüllt, aber stellen Sie sich vor: Er hat mich gedeckt. Gleichzeitig hat er gewollt, daß es nie wieder vorkommt und daß meine Frau eine Entziehungskur macht.«
    »Ich faß’ es nicht.«
    »Meine Frau schafft es nicht. Sie kommt nicht los von dem Zeug, und ich kann das nicht mitmachen noch länger. Ich habe schon genug Fehler gemacht. Und dafür werde ich bezahlen müssen. Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Und dann bin ich auch noch abgehauen.«
    »Wohin?«
    »Ich war in einer Klinik, in Süddeutschland. Da habe ich ein Gutachten erstellen lassen, damit jeder glaubt, daß ich kein Morphium genommen habe. Ich wollte das beweisen – schwarz auf weiß.«
    »Und? Bekommen Sie eine zweite Chance?«
    »Weiß ich noch nicht. Ich war bei der Polizei zuerst. Und dann war ich bei Dr. Lübke. Er sagt, er will sehen, was er tun kann. Sicher weiß er noch nicht. Aber er bemüht sich. Und als ich beim Lübke war, da kam plötzlich dieser Anruf von der Gyn. Hier auf Station würde ein Chirurg gebraucht, und da habe ich mir den Kittel genommen und bin gerannt.«
    »Puh!« Ich konnte es nicht glauben. Und doch freute ich mich. Ich freute mich allgemein. Und ich freute mich für Dr. Wolkov.
    »Na, dann wollen wir mal«, sagte der Chirurg und nahm den Pullover ganz vom Arm herunter. Ich kann mich nur noch erinnern, daß alles rot war.
    Dann sah ich eine andere Farbe. Schwarz.

48
    Eine halbe Stunde später war ich wieder bei meinen Frauen. Alexa war inzwischen auf einem Patientenzimmer. Sie schlief, genauso wie unsere Kleine, die sie neben sich im Bett liegen hatte. Während ich den schwarzen Haarflaum unseres Kindes betrachtete, überkam mich plötzlich ein

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