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Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld

Titel: Kreutzersonate / Eine Frage der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Lew u. Tolstaja Tolstoi
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Linie das, was er liebte, wovon er besessen war, wovon er früher geglaubt hatte, dass es ihn vor dem Tod retten würde. Die Literatur. Die Musik. Die Familie. Der Sex.

VOR DER GANZEN WELT BLOSSGESTELLT
    Die Kreutzersonate , die das Sexuelle nicht nur verdammte, sondern es auch mit einer nie da gewesenen Vorstellungskraft als ein ungeheuerliches Werkzeug des Todes zeigte, schlug 1889 wie eine Bombe ein. In der russischen Gesellschaft. Im
Ausland. Und auch in seiner Familie. Hier wurde sie vor allem – und nicht grundlos – als eine schlimme persönliche Beleidigung für Frau Tolstaja empfunden, die das Tolstoi-Imperium mit aufgebaut hatte, die sein Haus führte, die sein unersättliches Verlangen nach körperlicher Liebe stillen musste, wie sie seine Kinder stillen musste (der Vergleich kommt von ihr, wie der Leser vielleicht erkannt hat).
    Sofja Andrejewna fühlte sich gekränkt und verraten. Ich bezweifle, dass diese intelligente und literarisch erfahrene Frau in der Kreutzersonate hauptsächlich eine Schmähschrift gegen sich sah. Sie wusste jedoch, und besser vielleicht als jeder andere Mensch, dass viele Details ihres gemeinsamen Lebens, deren Lew Tolstoi sich bedient hatte, und überhaupt die halluzinatorische Sicherheit, mit der in seinen Texten Menschen, Landschaften, Beziehungen zum Leben erwachen, dafür sorgten, dass die Kreutzersonate als eine Erzählung über die Beziehung des Grafen und der Gräfin gelesen wurde, und dass sie, die«böse»Frau, entweder verdammt oder bemitleidet wurde. Bestimmt fühlte sie sich bloßgestellt und gedemütigt vor der ganzen Menschheit und insbesondere vor ihren eigenen Verwandten und Bekannten.

    Sofja Tolstaja hat alles getan, um die Öffentlichkeit von der Meinung abzubringen, sie (Tolstaja) sei beleidigt und glaube selbst daran, dass die Kreutzersonate sie und ihre Familie beschreibe (was auch in der Tat nicht stimmt). Doch ihre Tagebuchaufzeichnungen zeigen unmissverständlich: Sie war aufgebracht. Die Wunde, die die Kreutzersonate in ihrem Herzen hinterlassen hatte, wurde nie geheilt: Noch im hohen Alter litt sie unter der Vorstellung, dass sie der Menschheit als Megäre, als Xanthippe im Gedächtnis bleiben würde, die dem großen Tolstoi das Leben zur Hölle machte. Vor dem Verfasser der Kreutzersonate jedoch wollte sie nicht verbergen, dass sie gekränkt war. Im Gegenteil. Er sollte das wissen und spüren. Auf den Schlag folgte der Gegenschlag.

DIE HEIMZAHLUNG
    Ihr 1892-1893 geschriebener (und erst 1994 veröffentlichter) Roman Eine Frage der Schuld (wörtlich übersetzt:«Wessen Schuld?») ist weniger eine theoretische und künstlerische Polemik (obwohl er auch das gewiss ist) als eine Heimzahlung . Er ist in erster Linie für einen einzigen Leser
geschrieben – für den Gatten der Autorin. Dieser sollte nun selbst spüren, wie es ist, für eine literarische Figur verwendet, um nicht zu sagen, missbraucht zu werden, er musste sich jetzt selbst nackt, hilflos und verletzlich sehen und durfte den Roman nicht als Schmähschrift bezeichnen. In diesem Sinne ist Eine Frage der Schuld eine Frage der Sühne.
    In der Tat, der Roman ist keine direkte Karikatur auf die Person des Grafen Tolstoi und sein Familienleben, das hätte Tolstoi auch nicht behaupten dürfen, aber viel zu viel ist hier dem Ersten wie dem Zweiten entnommen, und viel zu viel zielt auf die Schmerzknoten des Gatten, die sie besser als irgendjemand auf der Welt kannte.
    Selbst die Ausgangssituation des Romans ähnelt weniger der der Kreutzersonate als der ihrer realen Beziehung und – was vielleicht noch wichtiger ist! – der des Familienglücks , des von Tolstoi entworfenen Eheprogramms aus dem Jahr 1859: In allen drei Fällen heiratet ein Mann in den besten Jahren, reich, lebenserfahren, klug, ein väterlicher Freund eigentlich, im Familienglück sogar der Vormund, ein sehr junges Mädchen, rein, unerfahren, musisch begabt und bereit, geführt und geformt zu werden. Viele Episoden und Details der drei Geschichten –
zweier literarischer und einer realen – stimmen schlicht und einfach überein. Sogar die«Sonatenobsession»des Mannes ist auch im Familienglück zu beobachten. Im Roman seiner Frau sah sich Tolstoi nun mit vielen Andeutungen und Parallelen konfrontiert, die für jeden Mann sehr unangenehm gewesen wären und unter die Gürtellinie gingen: Der Fürst Prosorski ist vor allem lächerlich und kleingeistig – ein eitler, kalter, berechnender (und falsch berechnender) Mensch. Seine

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