Kreuzstich Bienenstich Herzstich
in seinem Leben füllte. Die abendliche Durchkraulrunde war zwar kein adäquater Ersatz für eine menschliche Beziehung, aber sie hielt Seifferheld frei von Neurosen, davon war er überzeugt.
An diesem Morgen tollte Onis quietschvergnügt mit seinem Bernhardinerfreund Bill durch die Fluten des Kochers, der an dieser Stelle nur hundekniehoch und mit moderater Strömungsgeschwindigkeit in Richtung Neckar unterwegs war. Das Lieblingsspiel der beiden Rüden war Sumo-Ringen. Bill beherrschte eine lässige Schulterwurftechnik, gegen die Onis keine Chance hatte. Doch das tat der Freude des Hovawarts keinen Abbruch.
Seifferheld winkte Bills Frauchen zu, packte seine Butterbrezel und das
Haller Tagblatt
aus und machte es sich auf seiner Stammbank gemütlich.
Ein Graureiher, von den Hunden schnöde vertrieben, erhob sich majestätisch in die Lüfte. Eine Amsel zwitscherte. Der Chinese, der jeden Morgen durch den Park joggte und mehrmals pausierte, um im Zeitlupentempo Tai-Chi-Übungen zu zelebrieren, lief vorbei und rief Seifferheld einen Gruß zu. Seifferheld winkte zurück. Das war das Schöne an einer Kleinstadt, fand er: Man grüßte sich noch, auch wenn man sich gar nicht kannte. Aber wer sich zu dieser frühen Stunde im dornröschengleich schlummernden Park begegnete, der wusste, dass er mitdem anderen zumindest eines gemeinsam hatte: das Frühaufsteher-Gen. Ein äußerst verbindendes Element!
Seifferheld biss kräftig in den gebutterten Teil der Brezel – das Beste immer zuerst, gemäß dem Motto: Life is short, eat dessert first – und schlug den Lokalteil der Zeitung auf.
Verschwundener Radfahrer tot aufgefunden,
lautete die Schlagzeile. Natürlich erst hinter
Bau des Kocherquartiers sprengt den Zeitrahmen – Streit um neuen Namen dauert an
und auch nur eine statt vier Spalten – ein Einkaufszentrum und die Frage, ob es Kocher-Karree oder Salinenhöfe heißen sollte, waren schließlich wichtiger als eine Leiche, für die man ohnehin nichts mehr tun konnte. Das war schwäbischer Pragmatismus.
Seifferheld las.
Ludger K., der vor zwei Wochen von seinem Arbeitgeber, der hier ansässigen Firma Klafs Saunabau, als vermisst gemeldet worden war, ist von einem Spaziergänger tot aufgefunden worden. Der 46-jährige Saunatechniker lebte allein und hatte vor allem durch seine semiprofessionelle Leidenschaft für das Radfahren von sich Reden gemacht. Erst im letzten Jahr gewann er noch die
»
Tour de Ländle
«,
die quer durch Baden-Württemberg führt.
Onis kam angelaufen und schüttelte sich das Kocherwasser aus dem Fell. Es war wohl eine besondere Geste der Männerfreundschaft zwischen ihnen, dass er Seifferheld eine erfrischende Tropfendusche ermöglichte, anstatt sich mit Sicherheitsabstand am Ufer trocken zu wackeln.
Seifferheld war in Gedanken verloren und bekam nichts mit, weder sein durchweichtes Cordhosenbein noch dieTatsache, dass Onis die Butter von dem Brezelrest schleckte, der ihm aus der Hand geglitten war.
Schon wieder war ein Mittvierziger erst verschwunden und dann tot aufgefunden worden.
Der wievielte war das jetzt? Der dritte? Oder vierte?
Hm.
Seifferheld glaubte nicht an Zufälle.
Seine Schnüfflernase begann zu zucken.
Russendisco ohne Wladimir
»Huch, ein Mann!«
Olga Pfleiderer quietschte, als hätte sie eine Maus gesehen.
Dass sich ihr Entsetzen in Wirklichkeit jedoch in Grenzen hielt, zeigte sich daran, dass sie völlig gelassen am Küchentisch sitzen blieb, in der Linken die dampfende Kaffeetasse, in der Rechten die qualmende Zigarette.
Seifferheld hatte ganz vergessen, dass heute Donnerstag war.
Donnerstag war Putztag.
Es hatte eine erbitterte Schlacht gegeben.
»Ich putze selbst!«, hatte Irmi verkündet, weil sie fand, dass gedungene Hilfskräfte nie so porentief rein säuberten wie sie selbst. Und weil sie davon überzeugt war, dass Putzfrauen grundsätzlich den Intimbereich ihrer Arbeitgeber ausspionierten.
»Ich muss an meinen Ruf denken!«, hatte Susanne gewettert. Alle Rotarier-Gattinnen hatten Putzfrauen. Alle Soroptimistinnen ebenfalls. Als Frau von Format waren gewisse Dinge in einer Kleinstadt wie Schwäbisch Halleinfach essenziell: Man flog zum Shoppen von Designerkleidung nach Berlin oder Mailand (allenfalls bummelte man samstags durch Stuttgart), man fraternisierte sich nicht mit dem gemeinen Fußvolk (außer wenn man auf Charity-Events Standdienst hatte und an Krethi und Plethi gebrauchte Bettpfannen und Secondhand-Bücher verkaufte) und – ganz wichtig – man
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