Kreuzweg der Zeit
man eben den Mann mit dem Revolver aus diesem Raum geschafft hatte. Mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, hatte noch niemandem Gutes eingebracht. Es war besser, den Befehlen zu folgen, wenigstens so lange, bis er mehr über den Hintergrund der ganzen Aktion wußte.
»Na gut. Was soll ich also machen?«
»Sie verschwinden einfach. Hier und jetzt. Wieviel Gepäck haben Sie?«
Kittson war schon auf den Beinen und hatte die Schranktür geöffnet, ehe Blake Antwort auf seine Frage wußte.
»Einen Koffer.« Irgend etwas, vielleicht die Macht der Persönlichkeit des anderen, veranlaßte Blake zu einer Handlungsweise, die er noch vor einer Stunde nie auch nur in Betracht gezogen hätte. Er ließ den Koffer zuschnappen und zog seine Brieftasche heraus, um ein paar Geldscheine auf die Kommode zu legen.
»Ich nehme an, daß wir uns nicht formell abmelden.«
Das war mehr eine Feststellung als eine Frage, und er war nicht weiter erstaunt, daß Kittson sofort einverstanden war.
Das graue Licht draußen vor dem Fenster war nur wenig heller geworden. Es war fünf nach sieben, doch als der Agent die Raumbeleuchtung ausschaltete, glich die Dämmerung im Zimmer der Abenddämmerung. Blake schlüpfte in seinen Mantel, nahm Hut und Koffer und folgte dem anderen hinaus auf den Gang.
Sie gingen nicht um die Ecke zum Lift, sondern statt dessen zum Notausgang. Treppen – fünf Etagen, still und verlassen wie der Korridor. Vor einer Tür blieb Kittson kurz stehen und lauschte. Dann wieder treppab, schmal und nicht gut beleuchtet, durch einen Raum mit Lagerregalen, zu einer weiteren Treppe, die hinaufführte. Sie traten auf die Straße und spürten das frostige Nieseln des Schneeregens auf dem Gesicht. Blake war sicher, daß sein Führer genau wußte, wohin sie gingen, und auch davon überzeugt war, daß ihre Flucht unbeobachtet geblieben war. Sein Glauben an die Tüchtigkeit der Organisation des Agenten wurde ein für allemal gefestigt, als fast im selben Augenblick, da sie den Gehsteig überquerten, ein Taxi an den Randstein fuhr. Kittson öffnete die Tür, und Blake gehorchte dem angedeuteten Befehl. Zu seiner Verwunderung fuhr der Agent nicht mit. Statt dessen wurde die Tür zugeschlagen, und das Taxi fuhr los.
Für den Augenblick hatte es Blake genügt, Befehle zu befolgen und zu sehen, wohin alle diese bühnenreifen Anweisungen ihn führen würden. Doch als er wieder mehr Zeit zum Überlegen hatte und außerhalb der Reichweite von Kittsons elektrisierender Persönlichkeit war, konnte er sich über sein Einverständnis mit allen Vorschlägen des Agenten nur wundern. Wenn das alles kein unheimlicher Traum war, dann kam es einem solchen jedenfalls sehr nahe. Zweifellos wäre es das Klügste, den Wagen anzuhalten und sich auf eigene Faust davonzumachen. Nur hegte er den starken Verdacht, daß ihn Kittson früher oder später wieder einholen würde und daß sich ihre Beziehungen dann auf weniger freundlichem Fuß gestalten würden.
Das Taxi fuhr kreuz und quer durch die engen Straßen in dem zentral gelegenen Park, was Blakes geringe Kenntnis der Stadt vollends verwirrte. Dann aber kamen sie wieder auf die Hauptverkehrsstraßen. Der morgendliche Verkehr war in vollem Gange. Schließlich bog der Fahrer in eine enge Gasse zwischen kahlen Häuserwänden ein – vielleicht Lagerhäuser. Kurz darauf hielt er an.
»Da wären wir.«
Blake langte nach seiner Brieftasche. Doch der Fahrer sagte, ohne sich umzudrehen: »Schon bezahlt, Kamerad. Sie gehen durch diese Tür, ja? Drinnen ist ein Lift. Drücken Sie auf den obersten Knopf. Und jetzt schnell, hier darf ich nicht parken.«
Blake ging hinein und stand vor der Milchglastür eines automatischen Liftes. Er drückte den obersten Knopf und versuchte während der knarrenden Aufwärtsfahrt die Etagen zu zählen, doch war er nicht sicher, ob der Lift in der neunten oder zehnten anhielt.
Davor lag jetzt ein Stückchen Korridor, kaum mehr als ein Standplatz, vor einer einzigen kahlen Tür. Blake klopfte an, und die Tür ging so rasch auf, daß er den Eindruck gewann, man hätte ihn erwartet.
»Kommen Sie herein, Walker.«
Blake hatte eigentlich Kittson erwartet. Doch der Mann, der ihn jetzt begrüßte, war mindestens zehn Jahre älter als der Agent. Er war kleiner, das dunkelbraune Haar war von grauen Fäden durchzogen. So unauffällig er in einer Menschenmenge wirken mochte, so sehr lag doch in seinem Auftreten ruhige Würde. Auf seine Art war er eine ebenso große Persönlichkeit, wie
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