Krieg der Sänger
war auch Heinrich
von Ofterdingen zugegen. Je länger der jämmerliche thüringische Büßer flach wie
fallen gelassenes Tuch auf den kalten Bodenplatten lag – denn die Aufzählung
von Philipps Vorwürfen wollte kein Ende nehmen, sodass sich selbst die Gegner
des abtrünnigen Landgrafen für dessen Erniedrigung schämten –, desto schwerer
fiel es Heinrich, sich das Lachen zu verkneifen. Schließlich hatte er wenige
Tage zuvor ebenso erbärmlich wie Hermann dort gelegen und um Gnade gebettelt!
Zu allem Übel traf Heinrichs Blick im Gedränge den Walthers, der sein Verhalten
tadelte mit einer strengen Miene, die an Zorn grenzte. Heinrich biss sich auf
den Finger, um nicht laut aufzulachen. Er suchte nach Gegenständen, seine
Gedanken von der Farce des hingestreckten Thüringers abzulenken. Er atmete auf,
als Philipp sich auf die Fürsprache der versammelten Fürsten endlich vom Thron
erhob, um Hermann die Hand zu reichen und ihn mit dem Friedenskuss zu
begnadigen.
Zum Abend hatte Heinrich das Lied geschrieben, das Philipps Männer
von ihm verlangt hatten: Das Lied auf den liegenden
Landgrafen . Darin war Hermann von Thüringen eine hochfliegende
Wetterfahne, die ihr rot-silbernes Fähnchen stets nach dem Wind drehte – mal
nach dem welfischen, mal nach dem staufischen –, bis ein Sturm über Thüringen
hereinbrach, sie in Fetzen riss, von ihrem Gipfel fegte und zu Boden warf. Dort
wurde sie dann schlicht vergessen, die Thüringer Wetterfahne, im Staub und im
Schmutz und unter den Hacken des Pöbels – bis Philipp sich irgendwann ein Herz
nahm, sie aufzulesen, gründlich zu waschen und zu wringen und das tropfnasse
Tuch zum Trocknen aufzuhängen. Konrad steuerte eine schwungvolle Melodie bei.
Dem Lied war auf Monate hinaus ein außerordentlicher Erfolg
beschieden. König Philipp erfuhr davon, bat Heinrich, es ihm vorzusingen,
amüsierte sich prächtig und belohnte den Sänger entsprechend. Mehr konnte sich
kein König wünschen: Walther von der Vogelweide sang Loblieder auf Philipp von
Schwaben; Heinrich von Ofterdingen sang Spottlieder auf seine Gegner.
Als das Ichtershausener Heerlager aufgelöst wurde, kehrte Heinrich
zurück nach Passau, um dort über den Winter die Arbeit an den Nibelungen
fortzusetzen. Die Flecken kehrten nicht wieder. Er hatte seine alte Haut
abgeworfen. Er glaubte sich resistent gegen den Aussatz und hatte jede Angst
vor dem Tod verloren. Von seinem sündhaften Lebenswandel ließ er nicht.
22 . DEZEMBER
Den nächsten Morgen fand man Walthers Pferd tot im Stall
liegend, ein Bolzen in der Stirn. Nach dem Täter musste nicht lange gesucht
werden: Gerhard Atze räumte noch über dem Frühstück ein, vor Sonnenaufgang –
nachdem der Schmerz in seiner Hand ihn die ganze Nacht nicht hatte schlafen
lassen – seine Armbrust geladen und, Richter und Henker zugleich, das Tier für
seine Übeltat erschossen zu haben.
Als man Walther die Nachricht überbrachte, eilte er sofort zu seinem
Pferd. Vier Männer hatten es aus dem Stall in den Hof gezogen, auf ein Gerüst
neben der Küche gehängt und die Halsader durchtrennt, um das Blut aufzufangen,
bevor der Fluss ins Stocken kam. Walther fand seine braune Stute also an Ketten
hängend vor – ein Loch im Kopf und ein weiteres im Hals, aus dem nun Blut in
einen Kessel tröpfelte – und brach augenblicklich in Tränen aus.
Gerhard Atze befand sich noch immer beim Frühstück, als Walther ihn
zur Rede stellte. Der Ritter schilderte, wie ihm das Tier am Vortag den Finger
abgebissen habe, wies auf seine bandagierte Hand und erklärte, er habe
lediglich, Auge für Auge, Genugtuung gewünscht dafür, dass er jetzt nur noch
bis neun zählen könne. Hätten Pferde Finger, argumentierte er, hätte er sich
vielleicht mit einem Pferdefinger zufriedengegeben, da der Herrgott die Pferde
aber nun einmal fingerlos geschaffen habe, hätte es das Leben des Tieres sein
müssen. Walther hörte sich diese Rechtfertigung bis zum Ende an und entgegnete
dann, sein Pferd habe nie auch nur einer Pferdefliege etwas zuleide getan und
werde daher zu Unrecht beschuldigt.
Unter den Gästen in der Küche waren auch Biterolf und Dietrich, die
wie alle anderen dem Disput bis zu diesem toten Punkt zugehört hatten. »Mit
Verlaub, Herr Ritter«, sprach Dietrich nun, indem er aufstand, »aber es war
tatsächlich Wolframs Hengst, der Euch den Finger zerbiss, nicht die Stute von
Herrn Walther.«
Hierauf schwieg der ganze Saal. Atze stierte Dietrich stumpfsinnig
an, bis Walther
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