Krieg der Sänger
ordentlich genug geschabt hatte, sodass noch einige Haare
herausstanden, die dem entsprechenden Codex das Aussehen eines lebendigen
Wesens gaben. Wann immer Biterolf ein Werk in die eigenen Hände nahm, spürte er
die Blicke des Kanzlers und behandelte das Buch so sorgsam wie möglich.
Der Schreiber reichte Biterolf einen Folianten, in dem zahlreiche
Lieder der alten Meister niedergeschrieben waren. Biterolf kannte die Gedichte
bislang nur mündlich und durch die unzähligen Stationen ihrer Weitergabe
verschandelt. Nunmehr die unverfälschten Worte eines Dietmars von Aist, eines
Friedrichs von Hausen, eines Heinrichs von Veldeke handschriftlich vor sich zu
sehen – selbst wenn es nicht ihre Hand gewesen war, die sie niedergeschrieben
hatte –, war für Biterolf, als stünden die Sänger neben ihm im Zimmer. Er
versank in ihren Versen.
Als Biterolf über dem dritten Buch war, unterbrach Dietrich die
Lektüre, um mitzuteilen, dass sich von Eisenach Heinrich von Ofterdingen der
Burg nähere. Man warf die Mäntel über und verließ gemeinsam die Bibliothek.
Während der Schreiber in den Burghof ging, um den letzten Gast des
Sängerkreises gebührend zu empfangen, folgte Biterolf Dietrich, der den Einzug
von Ofterdingens Gefolge vom Wehrgang aus betrachten wollte. Dietrich nahm ihn
bei der Hand und führte ihn schnellen Schrittes die Treppen hoch zu den
östlichen Zinnen. Dort wies er mit dem Finger auf Hügel und Täler und nannte
sie beim Namen, »dort im Tal Eisenach und flussaufwärts die Hörselberge, wo ja
bekanntlich alles Böse wohnt, und irgendwo dort hinten rechts, wo Wald und
Wolken besonders dicht sind, der große Inselberg, aber wenn das Wetter so trübe
bleibt, wirst du seinen Gipfel nie zu Gesicht bekommen«, und redete dabei
ununterbrochen, dass in der kalten Luft sein Atem fortwährend seinen Kopf umnebelte.
Heinrich von Ofterdingen kam nicht allein. Zwei Gefolgsmänner ritten
hinter ihm, und um alle drei herum liefen, sprangen und tanzten mit Gelächter
und Gesang gut zwei Dutzend Bürger aus Eisenach, darunter Frauen und Kinder, um
den Sänger bis vor die Burg zu geleiten. Es war ein Aufmarsch. Wie ein
siegreicher Feldherr überragte Ofterdingen sie alle; Fiedel und Bogen auf
seinem Rücken wie Schild und Schwert, das lange braune Haar wie eine
Kettenhaube im Nacken. Was hätte Biterolf für einen solchen Einzug gegeben.
Ofterdingens Kleidern sah man allerdings schon aus der Ferne an, dass sie
abgenutzt waren und außerdem viel zu luftig für diese Witterung und derart
bunt, dass man ihn ohne das Pferd und seine Haltung auch für einen Gaukler
oder, schlimmer noch, für einen Narren hätte halten können.
Seine Begleiter waren ein gegensätzliches Paar: Während der eine,
unscheinbare, so gebückt auf einem Esel saß, dass man sein blasses Gesicht
unter der Mütze aus Biberfell kaum erkennen konnte, ritt der andere ähnlich
stolz wie sein Herr auf einem ähnlich stolzen Ross. Am Körper trug er weite,
gewickelte Stoffbahnen über einer Pluderhose und auf dem Kopf einen Turban, und
die Farbe seiner Haut war dunkler, als eine deutsche Sonne sie je hätte bräunen
können. Am Sattel hing ein Krummschwert in der Scheide. Zum Sarazenen fehlte
nur der schwarze Spitzbart. Zu allem Überfluss saß auf der Schulter des Fremden
ein Vogel, jedoch kein Falke, sondern ein einfacher Rabe. Als die Gesellschaft
die Zugbrücke erreicht hatte, hob er den Vogel von seiner Schulter und ließ ihn
fliegen. Der Rabe drehte eine Runde über dem Torhaus und gesellte sich dann zu
den Krähen auf dem Bergfried. Die heimischen Vögel protestierten nur kurz. Dann
war der Neuankömmling schon nicht mehr unter den anderen Schwarzen auszumachen.
Heinrich von Ofterdingen beugte sich nun im Sattel herab, um mit
einem Kuss von einigen Frauen Abschied zu nehmen. Eine Mutter hielt ihr
Töchterchen in die Höhe, damit er es küsste. Einem bärtigen Bürger reichte
Ofterdingen noch die Hand, dann ritt er winkend über die Brücke und war im
Torhaus verschwunden.
Auf der anderen Seite des Torhauses, im Burghof, hatte der
tugendhafte Schreiber geduldig gewartet, die Arme hinter dem Rücken
verschränkt, bis sich Ofterdingen von seiner Entourage verabschiedet hatte. Vom
Wehrgang aus sahen Biterolf und Dietrich mit an, wie der Sänger von seinem
Pferd stieg und vom Kanzler begrüßt wurde. Auch Reinmar hatte sich von Klara in
den Hof führen lassen, um den Überfälligen willkommen zu heißen. Ofterdingen schloss
den Greis kurz und
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