Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
es daher, sich nicht von ihm provozieren zu lassen – eine Kunst, die
beispielsweise Wolfram und Walther, wie du sicherlich ahnst, nicht beherrschen. – Exempli gratia: Er war für heute bestellt, weshalb
ist er nicht hier?«
    »Weil er in Eisenach aufgehalten wurde?«
    »Schnipp schnapp, aufgehalten! Der Landgraf hat es verschwiegen,
aber wir wissen natürlich, dass Heinrich mitnichten aufgehalten wurde, sondern
die Nacht aus freien Stücken in Eisenach verbringt, weil ihn die Bürgerschaft
darum gebeten hat. Zweifellos haben sie ihn mit Bier und Dirnen geködert. Eine
Majestät wie Hermann von Thüringen ruft ihn an seinen Hof, aber der feine
Heinrich von Ofterdingen säumt, weil er auf dem Tisch irgendeiner Eisenacher
Schenke Lieder für das Volk schmettert. Und weil er fraglos den Gedanken
genießt, dass alle hier oben, Hermann inbegriffen, auf ihn warten. Ja, er liebt
den Zank. Und er liebt es, sich mit anderen zu messen. Deswegen ist er mit
Sicherheit auch der Erste, der sich übermorgen für den Schaukampf meldet und
dort, Deo volente , gründlich die Nase zerschmettert
bekommt.«
    »Wenn er so eine unerträgliche Person ist, warum hat man ihn dann
überhaupt eingeladen?«
    » Difficile dictu! Der Landgraf bestand
darauf. Ich werde nicht schlecht über den Geschmack meines Dienstherrn
sprechen, aber Hermann ist eben nicht nur Mäzen, sondern zeitlebens auch
Krieger gewesen, und wahrscheinlich ist es der Krieger in ihm, dem das Gemetzel
in der Nibelungensage so zusagt. Ein Gemetzel, bei dem sich anderen Menschen,
mir etwa, der Magen umstülpt.«
    Der Anregung des Landgrafen folgend, versammelte Wolfram alle
Sänger im Anschluss in seiner Stube in der Vogtei. Gesungen wurde zu Biterolfs
Verwunderung nicht. Man sprach stattdessen über den Kampf um die deutsche
Krone, über den letzten Kreuzzug, über die Kirche und über den Papst; über das
Wetter und die letzte Ernte; über die neuesten Werke von abwesenden Sängern und
über Stoffe, die es wert schienen, zu Dichtung gemacht zu werden. Man zeigte
Instrumente herum, verglich und probierte sie aus. Der Schreiber berichtete von
dem, was sich im zurückliegenden Jahr in Thüringen zugetragen hatte, und
Reinmar erzählte vom Treiben am Hof in Wien. Walther hörte schmallippig zu,
hatte er denselben Hof doch vor Jahren verlassen wegen einer ebenso erbitterten
wie zähen Fehde zwischen ihm und seinem Lehrer Reinmar, die niemand zu
schlichten vermochte.
    Biterolf selbst schwieg die meiste Zeit – wie Wolframs Gefolge und
Reinmars Blindenmädchen. Er beschränkte sich darauf zuzuhören, die Gegenwart
der Meister zu genießen und sie nicht merken zu lassen, wie imponiert er von
ihrer Gegenwart war. Insbesondere beeindruckte ihn der herzliche Umgang von
Wolfram und Walther, diese beiden Sänger, deren Erscheinung ebenso
gegensätzlich war wie ihr Werk und die dennoch miteinander so vertraut waren
wie Brüder. Als sich erst der Schreiber mit dem Hinweis auf seine Pflichten
entfernte und dann Reinmar mit dem Hinweis auf sein Alter, war Biterolf
plötzlich mit Wolfram und Walther allein und fühlte sich fehl am Platze, als
würde er das intime Zwiegespräch alter Freunde stören. Unter einem Vorwand
entschuldigte er sich ebenfalls, sosehr ihn der höfliche Walther auch zum
Bleiben drängte. Biterolf solle sich aber in jedem Fall, sollte ihm etwas auf
dem Herzen liegen, an ihn wenden, sagte Walther, bevor er die Tür hinter ihm
schloss. Über Heinrich von Ofterdingen hatte man in der ganzen Zeit kein
einziges Wort verloren.

HEINRICH VON OFTERDINGEN
    Im Jahr 1204 nach der Menschwerdung Christi juckten
Heinrich von Ofterdingen die Knie. Als er die Hosen herunterließ, sah er, dass
sie von roten Flecken bedeckt waren, die sich anfühlten, als würden sie nicht
zu seiner eigenen Haut gehören. Dies geschah, kurz bevor Hermann von Thüringen
zum vierten Mal im Streit um den deutschen Thron die Seiten wechselte. Anfangs
hatte sich Hermann für den Welfen Otto von Braunschweig erklärt, dann im Jahr
darauf für den Staufer Philipp von Schwaben. 1202 schloss sich Hermann wieder
Otto an, weil dieser Papst und Gott auf seiner Seite zu haben schien. Dieser
unkluge Entschluss rief Stahl und Feuer auf seine Landgrafschaft herab.
Thüringen, im Herzen Deutschlands gelegen, wurde nun zwei Jahre lang auch zum
Herzen des Konflikts. Aus dem Norden kamen die Anhänger der Welfen, aus dem
Süden die der Staufer, und Thüringen, wo sie aufeinandertrafen, wurde ihr
Kampfplatz. Nachdem

Weitere Kostenlose Bücher