Krieg und Frieden
Fensterflügel auf, die Gardinen blähten sich auf und ein Strom von Kälte und Schnee stürmte ins Zimmer und löschte das Licht aus. Fürstin Marie fuhr auf, die Amme eilte ans Fenster, um es zu schließen.
»Mütterchen, da kommt jemand die Allee herauf«, sagte sie, »mit Laternen. Das muß der Doktor sein.«
»Ach, Gott sei Dank!« sagte Marie. »Ich muß ihm entgegengehen; er versteht nicht Russisch.« Marie warf einen Schal um und eilte hinaus. Im Vorzimmer sah sie durch das Fenster, daß ein Wagen vor der Hauptpforte stand. Sie ging auf die Treppe hinaus, auf dem Geländer standen Talgkerzen, welche im Wind flackernd zerschmolzen. Philipp, der Diener, stand mit ängstlichem Gesicht unten auf dem ersten Absatz der Treppe. Noch weiter unten hörte sie Schritte großer Pelzstiefel auf der Treppe und eine ihr bekannte Stimme sprach einige Worte.
»Gott sei Dank!« sagte die Stimme. »Und Batuschka?«
»Haben sich schlafen gelegt«, erwiderte der Haushofmeister Demjan.
Dann fragte die Stimme noch einiges, was Demjan beantwortete. Die Schritte der Pelzstiefel näherten sich schneller der noch unsichtbaren Wendung der Treppe.
»Ist das Andree?« dachte Marie. »Nein, das kann nicht sein, es wäre zu außerordentlich!« dachte sie.
In demselben Augenblick erschien auf dem Treppenabsatz, wo der Diener mit der Kerze stand, das Gesicht und die Gestalt des Fürsten Andree im Pelz, ganz mit Schnee bedeckt. Ja, das war er! Aber bleich und hager, mit veränderter, seltsam milder, aber sorgenvoller Miene. Er kam die Treppe herauf und umarmte die Schwester.
»Habt ihr meinen Brief nicht erhalten?« fragte er, und ohne eine Antwort abzuwarten, die er auch nicht erhalten hätte, weil die Fürstin nicht sprechen konnte, wandte er sich nach dem Doktor um, der ihm folgte, und ging mit raschen Schritten weiter die Treppe hinauf und wieder umarmte er die Schwester.
»Mascha! Meine Liebe!« rief er, warf den Pelz ab und ging nach dem Zimmer der Fürstin Lisa.
67
Die junge Frau lag auf dem Diwan mit einem weißen Häubchen auf dem Kopfe. Die Schmerzen hatten sie eben erst verlassen, die schwarzen Haare umgaben ihre glühenden, mit Schweiß bedeckten Wangen, der rote, entzückende Mund war geschlossen und sie lächelte freudig. Fürst Andree trat ins Zimmer und blieb vor dem Diwan stehen, auf dem sie lag. Ihre glänzenden Augen blickten mit kindlicher Angst und Erregung ihn an. Sie sah ihn, begriff aber nicht die Bedeutung seines Kommens.
Fürst Andree küßte sie auf die Stirn.
»Mein Seelchen!« sagte er, ein Wort, das er nie gesagt hatte, »Gott ist gnädig!...« Sie blickte ihn fragend und vorwurfsvoll an.
»Ich habe Hilfe von dir erwartet und nichts kam«, sagte ihr Blick. Sie wunderte sich nicht, daß er gekommen war, und begriff es auch nicht.
Die Schmerzen begannen wieder, und Maria Bogdanowna riet dem Fürsten, das Zimmer zu verlassen. Der Doktor trat ein. Fürst Andree ging mit Marie in ihr Zimmer. Sie sprachen flüsternd und immer wieder verstummte das Gespräch. Sie warteten und horchten.
»Gehe hinein, Andree«, sagte Marie.
Fürst Andree ging wieder zu seiner Frau und setzte sich wartend im Nebenzimmer nieder. Eine Frau kam aus ihrem Zimmer mit erschrecktem Gesicht und wurde verlegen, als sie ihn sah. Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und saß einige Zeit regungslos, dann vernahm er klägliches, hilfloses Stöhnen, stand auf, ging zur Tür und wollte sie öffnen, aber jemand hielt sie fest. »Man kann jetzt nicht eintreten«, hörte er sagen. Er ging im Zimmer auf und ab. Plötzlich ertönte ein schrecklicher Aufschrei im Nebenzimmer. Fürst Andree stürzte an die Tür. Der Schrei war verstummt. Man hörte das Weinen eines Kindes.
»Warum hat man ein Kind hierhergebracht?« dachte Fürst Andree im Augenblick. »Was für ein Kind? Warum? Oder ist das das Neugeborene?« Plötzlich begriff er die freudige Bedeutung dieses Weinens und brach selbst in Tränen aus. Die Tür öffnete sich, der Arzt kam in Hemdärmeln bleich und mit zitternder Kinnlade aus dem Zimmer. Fürst Andree wandte sich nach ihm um, aber der Arzt blickte ihn niedergeschlagen an und ging vorüber, ohne ein Wort zu sagen. Eine Frau stürzte heraus, und als sie Fürst Andree erblickte, blieb sie verwirrt bei der Tür stehen. Er trat in das Zimmer seiner Frau. Sie lag tot in derselben Lage, in der er sie vor fünf Minuten gesehen hatte, und derselbe Ausdruck wie zuvor lag auf diesem entzückenden, kindlichen Gesichtchen.
»Ich liebe
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