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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ihm doch.«
    »Mama, sind Sie böse? Ich bin doch nicht schuld!«
    »Nein, meine Kleine! Ich werde es ihm sagen«, erwiderte die Gräfin lächelnd.
    »Nein, nein, ich selbst. Sagen Sie mir nur, was ich sagen soll; Sie nehmen alles so leicht. Aber wenn Sie gesehen hätten, wie er mir das gesagt hat! Ich weiß ja, daß er nicht die Absicht hatte, das zu sagen, und es nur aus Versehen gesagt hat.«
    »Nun, also muß man ihm absagen.«
    »Nein, es tut mir so leid um ihn; er ist so liebenswürdig.«
    »Nun, dann nimm den Antrag an. Es ist auch schon Zeit, daß du heiratest«, sagte die Mutter ärgerlich und spöttisch. »Übrigens werde ich selbst mit ihm sprechen.«
    »Nein, keinesfalls; ich werde mit ihm sprechen, und Sie können an der Tür horchen.« Natalie ging rasch durch das Nebenzimmer in den Saal, wo Denissow am Klavier saß. Er hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt. Beim Geräusch ihrer Schritte sprang er auf und ging ihr hastig entgegen.
    »Natalie«, sagte er, »entscheiden Sie mein Schicksal! Es liegt in Ihren Händen.«
    »Wassil Dmitritsch, Sie sind so liebenswürdig. Aber es kann nicht sein! ... Doch ich werde Sie ewig lieben!«
    Denissow beugte sich auf ihre Hand herab, und sie küßte seinen schwarzen, lockigen Kopf.
    »Wassil Dmitritsch«, sagte die Gräfin, welche mit raschen Schritten eintrat, »ich danke Ihnen für die Ehre, aber meine Tochter ist so jung, und ich hatte auch geglaubt, Sie würden sich zuerst an mich wenden. In diesem Falle hätten Sie mir die Notwendigkeit einer Absage erspart.«
    »Gräfin«, sagte Denissow mit niedergeschlagenen Augen und schuldbewußter Miene, während Natalie laut schluchzte, »ich verdiene Ihren Vorwurf. Aber wissen Sie, daß ich Ihre Tochter und Ihre ganze Familie so verehre, daß ich zwei Leben hingeben würde ...« Er sah die Gräfin an und bemerkte ihre strenge Miene. »Leben Sie wohl, Gräfin!« Er küßte ihre Hand, und ohne Natalie anzublicken, verließ er mit raschen Schritten das Zimmer.
    Am andern Tag begleitete Nikolai seinen Freund Denissow, welcher keinen Tag länger in Moskau bleiben wollte. Alle seine Freunde in Moskau gaben ihm das Geleit und Denissow erinnerte sich später nicht mehr, wie er in den Schlitten gelegt und noch drei Stationen weit begleitet worden war.
    Rostow blieb noch zwei Monate in Moskau, in Erwartung des Geldes, welches der alte Graf nicht so schnell anschaffen konnte. Während dieser Zeit verließ er das Haus nicht. Sonja war zärtlicher und hingebender gegen ihn als früher, aber Nikolai hielt sich jetzt für ihrer unwürdig. Er beschrieb die Alben der Mädchen mit Gedichten und Noten. Nachdem endlich die dreiundvierzigtausend Rubel an Dolochow gegen Quittung abgesandt waren, reiste er, ohne von seinen Bekannten Abschied zu nehmen, Ende November zu seinem Regiment ab, welches schon in Polen stand.

74
    Nach dem Bruch mit seiner Frau fuhr Peter Besuchow nach Petersburg. Auf der Station Torshok waren keine Pferde zu haben und Peter mußte warten. Ohne den Pelz abzulegen, warf er sich auf einen ledernen Diwan vor einem runden Tisch, legte seine großen Füße mit den Pelzstiefeln auf den Tisch und versank in Nachdenken.
    »Befehlen Sie, die Koffer hereinzubringen, ein Bett zu machen? Wünschen Sie Tee?« fragte der Kammerdiener. Aber Peter gab keine Antwort, weil er nichts sah und hörte. Es war ihm alles gleichgültig, ob er früher oder später in Petersburg ankommen werde und wie lange er auf dieser Station warten müsse. Der Postmeister, die Postmeisterin, der Kammerdiener boten ihre Dienste an, doch Peter sah sie schweigend durch seine Brille an, ohne seine Lage zu verändern, und begriff nicht, was sie wollten, und wie sie weiter zu leben vermochten, ohne jene Fragen gelöst zu haben, die ihn so lebhaft beschäftigten. Seit jenem Tage, wo er nach dem Duell von den Sperlingsbergen zurückkam und eine peinliche, schlaflose Nacht verbrachte, war es fast, als ob in seinem Kopf jene wichtige Schraube sich verdreht hätte, welche seinem ganzen Leben Halt gab. Die Schraube drehte sich noch immer weiter, ohne in etwas einzugreifen, und es war unmöglich, sie anzuhalten. Der Postmeister trat ein und bat demütig Seine Erlaucht, noch zwei Stündchen zu warten, dann werde er Kurierpferde erhalten. Das war augenscheinlich gelogen; der Postmeister wollte nur den Durchreisenden möglichst viel Geld abnehmen.
    »Ist das böse oder gut?« fragte sich Peter. »Für mich ist es gut, für einen anderen Reisenden schlimm, aber für den

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