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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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erreicht. Rostow setzte wieder dreitausend Rubel auf eine Karte, aber Dolochow legte die Karten weg, ergriff die Kreide und summierte rasch die lange Zahlenreihe.
    »Es ist Zeit, zu speisen, da kommt auch die Zigeunermusikbande!«
    Dunkle Männer und Mädchen traten ein, welche in ihrem Zigeunerdialekt sprachen. Nikolai begriff, daß alles zu Ende war.
    »Nun, willst du nicht mehr?« fragte er mit gleichgültiger Stimme. »Es ist zu Ende, ich bin verloren!« dachte er. »Es bleibt mir nur noch übrig, mir eine Kugel vor den Kopf zu schießen. – Nun, noch ein Kärtchen«, sagte er mit heiserer Stimme.
    »Schön«, erwiderte Dolochow, der eben seine Rechnung beendigt hatte, »es fehlen noch einundzwanzig Rubel zu dreiundvierzigtausend!« Er ergriff wieder die Karten und mischte sie.
    Rostow bog eine Ecke um und schrieb, anstatt sechstausend, einundzwanzig Rubel. »Es ist mir ganz gleichgültig«, sagte er. »Ich möchte nur wissen, ob du auch diese Zehn schlägst.«
    Dolochow begann mit ernster Miene Karten zu geben. Oh, wie verabscheute Rostow in diesem Augenblick diese roten, behaarten Hände mit den kurzen Fingern! ... Eine Zehn erschien.
    »Sie schulden mir dreiundvierzigtausend, Graf«, sagte Dolochow und stand gähnend auf. »Es macht müde, so lange zu sitzen«, sagte er.
    »Ja, ich bin auch müde«, sagte Rostow.
    »Wann befehlen Sie, daß ich das Geld in Empfang nehme, Graf?« fragte Dolochow, als ob er Rostow erinnern wollte, daß es sich für ihn nicht schicke, zu scherzen. Rostow fuhr zusammen und rief Dolochow in das andere Zimmer.
    »Ich kann nicht alles auf einmal bezahlen, ich werde dir einen Wechsel geben«, sagte er.
    »Höre, Rostow«, erwiderte Dolochow, indem er Rostow lachend ins Gesicht sah, »du kennst das Sprichwort: ›Glück in der Liebe, Unglück im Spiel!‹ Deine Cousine ist in dich verliebt, das weiß ich.«
    »Ach, es ist schrecklich, sich so in der Gewalt dieses Menschen zu wissen«, dachte Rostow. Er wußte, welcher Schreck das für seinen Vater sein mußte, er sah, daß Dolochow wohl wußte, was ihn aus dieser Beschämung und diesem Kummer retten konnte, und daß er jetzt noch mit ihm spielen wollte wie die Katze mit der Maus.
    »Deine Cousine...« fuhr Dolochow fort, aber Nikolai unterbrach ihn.
    »Meine Cousine hat damit gar nichts zu schaffen, und es ist überflüssig, von ihr zu reden«, schrie er zornig.
    »Also wann soll ich das Geld in Empfang nehmen?« fragte Dolochow.
    »Morgen«, erwiderte Rostow und verließ das Zimmer.

72
    Es war nicht schwer, in gleichgültigem Tone zu sagen »morgen«, aber nach Hause zu fahren, die Geschwister und die Eltern zu sehen, seine Schuld einzugestehen und um Geld zu bitten nach seinem Ehrenwort – das war entsetzlich.
    Zu Hause war alles noch in Bewegung. Die Jugend war aus dem Theater gekommen, speiste und musizierte. Sobald Nikolai in den Salon eintrat, umfing ihn jene poetische Atmosphäre, welche in diesem Winter im ganzen Hause herrschte. Sonja und Natalie trugen noch die blauen Kleider, mit welchen sie im Theater gewesen waren, und standen heiter und vergnügt am Klavier. Wera spielte mit Schinschin Schach, die alte Gräfin legte mit einer alten Dame, die sie aufgenommen hatte, eine Patience, in Erwartung ihres Mannes und ihres Sohnes. Denissow saß mit glänzenden Augen und zerzausten Haaren am Klavier und trug mit seiner dünnen heiseren Stimme und aufgeschlagenen Augen ein Lied eigener Komposition vor.
    »Herrlich! Ausgezeichnet!« rief Natalie. »Noch ein Liedchen! O, da kommt Nikolai!« Natalie lief ihm entgegen.
    »Ist Papa zu Hause?« fragte er.
    »Nein, Papa ist noch nicht gekommen«, erwiderte Sonja.
    »Wie freue ich mich, daß du gekommen bist!« erwiderte Natalie. »Wir sind hier so vergnügt.«
    »Koko, komm her!« rief die Gräfin aus dem Nebenzimmer. Nikolai küßte ihre Hand und setzte sich neben sie, während sie Karten legte.
    Aus dem Saal tönte noch wirres Gelächter herüber.
    »Schön! Schön!« rief Denissow. »Jetzt dürfen Sie nichts abschlagen! Sie sind mir noch die Barkarole schuldig!«
    Die Gräfin blickte sich nach ihrem schweigsamen Sohn um.
    »Was ist dir?« sagte sie.
    »Ach nichts«, erwiderte er. »Kommt Papa bald nach Hause?«
    »Ich glaube.«
    »Sie leben wie immer, sie wissen von nichts! Wohin soll ich mich wenden« dachte Nikolai und ging wieder in den Saal zum Klavier.
    Sonja spielte die Barkarole, welche Denissow besonders liebte. Natalie begann zu singen, während Denissow sie mit Entzücken

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