Krieg und Frieden
er sogleich erkannte. Rostow vergaß die Gefahr, erkannt zu werden, näherte sich mit einigen neugierigen Einwohnern der Vortreppe und jetzt sah er wieder nach zwei Jahren die von ihm verehrten Züge, dasselbe Gesicht, denselben Blick und Gang, dieselbe Majestät und Milde. Entzücken und Liebe zum Kaiser erfüllte Rostows Herz. Der Kaiser in der Uniform des Preobraschenskyschen Garderegiments, mit hohen Stiefeln und einem Rostow unbekannten Orden, dem Stern der Ehrenlegion, trat auf die Vortreppe hinaus mit dem Hut unter dem Arme und zog sich Handschuhe an. Er betrachtete und erleuchtete alles um sich her mit seinem Blick. Er erkannte auch den früheren Divisionsgeneral Rostows, lächelte ihm zu und rief ihn zu sich.
Die ganze Suite trat zurück, und Rostow sah, wie der Kaiser ziemlich lange mit dem General sprach. Der Kaiser machte endlich einen Schritt nach seinem Pferd.
»Ich kann nicht, General«, sagte er ziemlich laut, augenscheinlich mit dem Wunsche, von allen gehört zu werden, »denn das Gesetz ist stärker als ich.« Er stellte den Fuß in den Steigbügel. Der General neigte ehrerbietig den Kopf, der Kaiser stieg zu Pferde und ritt im Galopp die Straße entlang. Außer sich vor Entzücken lief Rostow mit der Menge ihm nach.
88
Auf dem Platz, nach welchem der Kaiser ritt, standen einander gegenüber rechts ein Bataillon vom Preobràschenskyschen Garderegiment und links ein Bataillon der französischen Garde mit Bärenmützen. Während der Kaiser den einen Flügel erreichte, galoppierte ein anderer Reitertrupp vom anderen Flügel her, und an der Spitze desselben erkannte Rostow Napoleon. Es konnte kein anderer sein, er ritt im Galopp, trug einen kleinen Hut und das Band des Andreasordens über der Schulter. Als er sich Alexander näherte, zog er den Hut, und bei dieser Geste bemerkte das Kennerauge Rostows, daß Napoleon schlecht und unsicher auf dem Pferde saß. Die Bataillone schrie »Hurra!« und » Vive l'empereur! « Napoleon sagte etwas zu Alexander; beide Kaiser stiegen ab und reichten sich die Hände. Auf Napoleons Gesicht lag ein unangenehmes, gezwungenes Lächeln, Alexander sprach einige Worte mit freundlicher Miene. Rostow wandte keinen Blick von der Gruppe ab, ungeachtet des Drängens der französischen Gendarmen mit ihren Pferden. Mit Erstaunen sah er, daß Bonaparte mit dem russischen Kaiser ganz unbefangen sprach, als ob diese Annäherung für ihn etwas ganz Natürliches und Gewohntes wäre. Alexander und Napoleon begaben sich mit dem langen Schweif ihrer Suiten auf den rechten Flügel des russischen Gardebataillons. Die Menge, darunter auch Rostow, befand sich unerwartet in der unmittelbaren Nähe der Kaiser.
»Sire, ich bitte um die Erlaubnis, dem tapfersten Ihrer Soldaten den Orden der Ehrenlegion zu geben«, sagte die scharfe Stimme Napoleons.
Alexander hörte aufmerksam auf diese Worte und lächelte freundlich.
»Demjenigen, der sich in diesem Krieg am tapfersten erwiesen hat«, fuhr Napoleon fort, jede Silbe betonend. Rostow war entrüstet über die Ruhe und Selbstgefälligkeit, mit der Napoleon die Reihe der Russen überblickte, welche mit präsentiertem Gewehr unbeweglich nach dem Gesicht ihres Kaisers sahen.
»Erlauben Sie mir, Majestät, den Oberst nach seiner Meinung zu befragen«, sagte Alexander und trat mit einigen raschen Schritten auf den Grafen Koslowsky zu, der das Bataillon befehligte. Inzwischen nahm Bonaparte von seiner weißen, kleinen Hand den Handschuh ab, wobei er ihn zerriß und wegwarf. Ein Adjutant kam eilfertig herbei und hob ihn auf.
»Wen soll man vorschlagen?« fragte Alexander mit leiser Stimme ruhig den Obersten.
»Wie Sie befehlen, Majestät!«
Der Kaiser faltete ungeduldig die Stirn. »Man muß ihm doch antworten«, sagte er. Koslowsky überblickte die Reihen und dabei fiel sein Auge auch auf Rostow.
»Etwa ich?« dachte Rostow.
»Basarew!« rief der Oberst, und der Flügelmann Basarew trat rasch vor.
»Wohin gehst du?« flüsterten verschiedene Stimmen Basarew zu, welcher nicht wußte, wohin. Er blieb stehen und blickte erschrocken den Obersten an. Napoleon wandte etwas den Kopf zur Seite und griff mit seiner kleinen Hand nach rückwärts, als ob er etwas ergreifen wollte. Die Adjutanten begriffen, um was es sich handelte, flüsterten untereinander und reichten sich etwas zu, und derselbe Page, welchen Rostow gestern bei Boris gesehen hatte, eilte vorwärts und legte einen Orden mit rotem Band in die Hand des Kaisers. Ohne sich umzublicken,
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