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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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konnte, daß er ihn für betrunken hielt.
    Aber Rostow hörte ihn nicht an.
    »Wir sind keine diplomatischen Beamten, wir sind Soldaten, weiter nichts«, fuhr er fort. »Befiehlt man uns zu sterben – so sterben wir, und wenn jemand bestraft wird, so heißt das, daß er schuldig sei! Nicht uns kommt es zu, darüber zu urteilen! Wenn es dem Kaiser gefällt, Bonaparte als Kaiser anzuerkennen und ein Bündnis mit ihm zu schließen, so bedeutet das, daß es so sein muß. Wenn wir über alles urteilen und räsonieren wollen, so gibt es nichts Heiliges mehr! Ebensogut können wir sagen, es gibt keinen Gott und nichts mehr!« schrie Nikolai und schlug auf den Tisch. Was nach den Begriffen der Zuhörenden ganz verworren war, erschien ihm durchaus konsequent und zu seiner Gedankenreihe passend. »Wir haben nur unsere Pflicht zu erfüllen, uns zu schlagen, aber nicht nachzudenken!« schloß er.
    »Und zu trinken!« sagte einer der Offiziere, der Streit vermeiden wollte.
    »Ja, und zu trinken« wiederholte Nikolai. »Kellner, noch eine Flasche!« schrie er.

89
    Im Jahre 1808 fuhr Kaiser Alexander nach Erfurt zu einer neuen Zusammenkunft mit dem Kaiser Napoleon, und in den höchsten Kreisen Petersburgs sprach man viel über die Pracht und Großartigkeit dieses feierlichen Kongresses. Im Jahre 1809 war die Annäherung der beiden Beherrscher der Welt, wie Napoleon und Alexander genannt wurden, so weit gelangt, daß nach der Kriegserklärung Napoleons an Österreich ein russisches Korps an die Grenze rückte, um seinem früheren Feind Bonaparte gegen den früheren Verbündeten, den Kaiser von Österreich, beizustehen. Man sprach sogar in den höchsten Kreisen von einer Heirat zwischen Napoleon und einer Schwester des Kaisers Alexander. Aber außer den politischen Ereignissen war die Aufmerksamkeit der russischen Gesellschaft mit großer Spannung auch auf die inneren Reformen gerichtet, welche zu dieser Zeit in allen Teilen der kaiserlichen Regierung eingeführt weiden sollten.
    Fürst Andree lebte still und zurückgezogen zwei Jahre lang auf dem Lande. Alle diese Arbeiten und Unternehmungen in der Verwaltung seiner Güter, welche Peter bei sich anfing, ohne sie zu irgendeinem Resultat zu bringen, da er beständig von einer Sache zur andern überging, alle diese Arbeiten wurden auch vom Fürsten Andree begonnen und durchgeführt ohne die geringste bemerkbare Mühe.
    Er besaß im höchsten Grade jene praktische Geschicklichkeit, welche ohne Anstrengung und Unruhe alles in Bewegung setzt, die aber Peter gänzlich fehlte.
    Die dreihundert Seelen, welche eines seiner Güter bewohnten, wurden in freie Bauern verwandelt. Das war eines der ersten Beispiele in Rußland. Auf andern Gütern wurde die Fronarbeit in eine Geldabgabe verwandelt. In Bogutscharowo wurde auf Kosten des Fürsten eine gelernte Hebamme angestellt, und der Geistliche unterrichtete die Kinder der Bauern in Lesen und Schreiben. Die eine Hälfte seiner Zeit verbrachte Fürst Andree in Lysy Gory bei seinem Vater und seinem Sohn, der noch in weiblicher Obhut war, die übrige Zeit verlebte er auf seinem eigenen Gut Bogutscharowo. Die Weltereignisse verfolgte er eifrig, las viele Bücher und bemerkte zu seinem Erstaunen, wenn Gäste aus Petersburg kamen, daß diese Leute, welche Gelegenheit hatten, alle Ereignisse der inneren und äußeren Politik an der Quelle kennenzulernen, in der Kenntnis derselben gegen ihn sehr zurückstanden, obgleich er einsam auf dem Lande lebte. Neben der Verwaltung seiner Güter und der Lektüre von Büchern aller Art, beschäftigte sich Fürst Andree um diese Zeit auch mit einer kritischen Beschreibung unserer beiden letzten unglücklichen Feldzüge und mit der Ausarbeitung eines Projekts über die Reform unserer Gesetze und Bestimmungen über das Heerwesen. Im Herbst kam er auf den Gedanken, nach Petersburg zu reisen und erdachte sich eine ganze Reihe von vernünftigen, logischen Gründen, warum er durchaus nach Petersburg reisen und sogar in den Dienst treten müsse. Er konnte jetzt nicht mehr begreifen, wie er früher an der Notwendigkeit, tätigen Anteil am öffentlichen Leben zu nehmen, hatte zweifeln können. Es war ihm klar, daß alle seine Lebenserfahrungen verlorengehen mußten und es sinnlos wäre, wenn er sie nicht zur Anwendung bringen und wieder tätigen Anteil am Leben nehmen würde. Er begriff nicht mehr, wie er früher auf Grund ebenso armseliger Vernunftgründe davon überzeugt gewesen war, daß er sich erniedrigt hätte, wenn er

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