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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Mitleids. »Aber was ist denn zwischen euch vorgefallen?« fragte sie. »Was hat er dir gesagt? Warum macht er nicht ganz einfach einen Besuch?«
    Natalie antwortete nicht auf ihre Fragen.
    »Um Gottes willen, Sonja, sage niemand etwas davon! Quäle mich nicht!« bat Natalie. »Bedenke, man darf sich in solche Sachen nicht einmischen. Ich habe dir alles entdeckt!«
    »Aber wozu diese Geheimnisse? Warum bittet er nicht offen um deine Hand? Fürst Andree hat dir volle Freiheit gegeben, im Fall es so weit kommen sollte, aber ich kann es nicht glauben, Natalie. Hast du bedacht, welche geheimen Gründe vorhanden sein können?« Natalie blickte Sonja mit verwunderten Augen an. Diese Frage schien ihr noch neu zu sein, und sie wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. »Ich weiß nicht, welche Gründe, aber er muß wohl Gründe haben.«
    Sonja seufzte und wiegte ungläubig den Kopf. »Wenn Gründe vorhanden wären«, begann sie, aber Natalie erriet ihre Zweifel und unterbrach sie hastig.
    »Sonja, du darfst nicht an ihm zweifeln, nein, du darfst nicht! Verstehst du?« rief sie.
    »Liebt er dich?«
    »Ob er mich liebt?« wiederholte Natalie mit mitleidigem Lächeln. »Du hast ja den Brief gelesen und hast es gesehen.«
    »Aber wenn er ein unedler Mensch wäre!«
    »Er – ein unedler Mensch! Ach, wenn du ihn kennen würdest!« erwiderte Natalie.
    »Wenn er ein edler Mensch wäre, so müßte er entweder seine Absichten offen erklären oder dich nicht mehr sehen. Aber wenn du das nicht willst, dann tue ich es! – Ich schreibe ihm und sage alles Papa«, erklärte Sonja mit Entschiedenheit.
    »Ich kann nicht ohne ihn leben«, rief Natalie.
    »Natalie, ich begreife dich nicht. Denke an deinen Vater und an Nikolai!«
    »Ich habe niemand nötig und liebe niemand außer ihm. Wie unterstehst du dich zu sagen, er sei unedel! Du weißt wohl nicht, daß ich ihn liebe?« rief Natalie. »Sonja, geh! Ich will nicht mit dir streiten. Geh, ich bitte dich! Du siehst, wie ich leide« rief Natalie heftig mit zitternder, verzweifelter Stimme. Sonja verließ weinend das Zimmer.
    Natalie trat an den Tisch, und ohne einen Augenblick zu zögern, schrieb sie an die Fürstin Marie die Antwort, welche sie den ganzen Morgen nicht zustande gebracht hatte. In diesem Brief erklärte sie kurz, alle Mißverständnisse seien zu Ende. Sie mache Gebrauch davon, daß Fürst Andree ihr beim Abschied großmütig Freiheit gelassen habe. Sie bitte ihn, zu vergessen und ihr zu vergeben, aber sie könne nicht seine Frau sein. Alles das erschien ihr so einfach, so klar in diesem Augenblick.
    Die Abreise Rostows nach dem Gut war auf Freitag festgesetzt, und Mittwoch fuhr der Graf mit einem Käufer nach seinem Gut bei Moskau.
    Für diesen Tag waren Sonja und Natalie zu einem großen Diner bei Karagin eingeladen, und Maria Dmitrijewna führte sie dahin. Hier traf Natalie wieder mit Anatol zusammen, und Sonja bemerkte, daß sie mit ihm heimlich etwas sprach und während des ganzen Diners noch aufgeregter war als zuvor. Als sie nach Hause zurückgekehrt waren, begann Natalie Sonja die Aufklärung zu geben, welche diese erwartete.
    »Siehst du, Sonja, du hast ihn falsch beurteilt«, begann Natalie mit milder Stimme, wie Kinder, wenn sie erwarten, daß man sie loben werde. »Ich habe mich jetzt mit ihm ausgesprochen.«
    »Nun, was hat er gesagt, Natalie? Wie freue ich mich, daß du mir nicht zürnst! Sage mir alles, die ganze Wahrheit! Was hat er gesagt?«
    Natalie dachte nach. »Ach, Sonja, wenn du ihn so kennen würdest wie ich! Er sagte ... Er fragte mich, was ich Bolkonsky versprochen habe, und war erfreut darüber, zu hören, daß es von mir abhängt, ihm abzusagen.«
    »Aber du hast doch Bolkonsky nicht abgesagt?« fragte sie.
    »Vielleicht doch, vielleicht ist mit Bolkonsky alles zu Ende. Warum denkst du so schlecht von mir?«
    »Ich denke nichts! Ich begreife nur nicht ...«
    »Warte nur, Sonja, du wirst alles begreifen, du wirst sehen, was er für ein Mann ist. Denke nichts Schlechtes, weder von mir noch von ihm.«
    »Ich denke über niemand etwas Schlechtes, ich habe Liebe und Mitleid für alle. Aber was soll ich machen?«
    Sonja traute nicht dem zärtlichen Ton Natalies. Je milder und freundschaftlicher Natalie war, desto ernster und strenger wurde Sonjas Stimme. »Natalie«, sagte sie, »du hast mich gebeten, nicht mit dir darüber zu sprechen, und ich habe geschwiegen. Jetzt aber hast du selbst begonnen. Natalie, ich traue ihm nicht! Wozu dieses

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