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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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dieser Organe besteht. Dieser einfache Gedanke konnte den Ärzten nicht in den Kopf kommen, weil es die Aufgabe ihres Lebens ist, zu kurieren, weil sie dafür Geld erhalten. Aber auch deshalb konnte dieser Gedanke den Ärzten nicht in den Kopf kommen, weil sie sahen, daß sie wirklich unzweifelhaft nützlich waren für alle Familienmitglieder. Sie waren nützlich, weil sie jenes Bedürfnis nach Hoffnung und Mitleid, jenes Verlangen eines leidenden Menschen, daß etwas geschehen solle, befriedigten, sie waren auch dadurch nützlich für Natalie, daß sie ihr Händchen rieben und ihr versicherten, es werde alles wieder gut werden, wenn der Kutscher in die Apotheke fahren und für einen Rubel und siebzig Kopeken Pülverchen und Pillen in einem schönen Schächtelchen abholen werde, und wenn sie diese Pülverchen genau alle zwei Stunden – nicht mehr, nicht weniger – in abgekochtem Wasser einnehmen werde.
    Was hätten Sonja, der Graf und die Gräfin angefangen ohne diese Pillen, die Hühnerkotelette und alle Vorschriften über die Lebensweise der Kranken, welche den Angehörigen zum Trost gereichen. Wie hätte der Graf die Krankheit seiner geliebten Tochter ertragen, wenn er nicht gewußt hätte, die Krankheit koste tausend Rubel, und er würde sich um weitere tausend auch nicht grämen, um sie gesund zu machen, und wenn sie sich nicht bessern würde, würde er noch tausend daran rücken und sie ins Ausland bringen, um dortige Ärzte zu befragen. Was hätte die Gräfin getan, wen sie nicht zuweilen mit der kranken Natalie darüber hätte zanken können, daß sie die Vorschriften des Arztes nicht pünktlich beobachtete?
    »Du wirst nie gesund werden«, sagte sie, »wenn du den Ärzten nicht folgst und zur rechten Zeit die Medizin einnimmst. Da ist nicht zu spaßen, wenn sich bei dir eine Pneumonie bilden kann«, sagte die Gräfin. Bei diesem ihr unverständlichen Wort fand sie schon einen großen Trost und vergaß den Kummer über ihrem Zürnen. Was hätte Sonja gemacht ohne das freudige Bewußtsein, daß sie sich drei Nächte nicht entkleidet hatte, nur um dafür zu sorgen, daß alle Vorschriften des Arztes genau befolgt werden, und daß sie jetzt des Nachts nicht schlafe, nur um nicht die Stunde zu versäumen, zu welcher die Kranke die unschädlichen Pillen aus dem goldenen Schächtelchen erhalten sollte. Wenn auch Natalie sagte, keine Medizin könne ihr helfen, so war es für sie doch eine Genugtuung, daß sie durch Vernachlässigung der ärztlichen Vorschriften beweisen konnte, daß sie ihres Lebens überdrüssig sei. Der Arzt kam jeden Tag, befühlte den Puls, besah die Zunge, achtete nicht auf ihre niedergeschlagene Miene und scherzte mit ihr. Aber wenn er ins Nebenzimmer ging, folgte ihm die Gräfin hastig nach. Er nahm eine ernste Miene an, wiegte den Kopf und sagte, wenn auch noch Gefahr vorhanden sei, hoffe er doch auf die Wirkung dieser letzten Medizin, man müsse abwarten, die Krankheit sei gar seltener Art und so weiter.
    Die Anzeichen der Krankheit Natalies bestanden darin, daß sie wenig aß, wenig schlief, hustete und teilnahmslos blieb und deshalb brachten Rostows den ganzen Sommer 1812 in der Stadt zu.
    Trotz der großen Anzahl von Pillen, Tropfen und Pülverchen, die sie aus Gläsern und Schachteln eingenommen hatte, erlangte doch die Jugendkraft die Oberhand, und das Vergangene lag nicht mehr mit solchem schweren Druck auf ihrem Herzen.

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    Natalie war ruhiger, aber nicht heiterer, sie vermied alle Vergnügungen, Konzerte, Theater, Bälle, lachte niemals, ohne daß dabei Tränen wahrnehmbar geworden wären. Alle früheren Interessen des Lebens waren für sie erstorben. Sie bemühte sich sichtlich, niemand zur Last zu fallen und niemand zu stören, nur mit ihrem Bruder Peter liebte sie häufiger umzugehen, zu spielen, und es kam sogar vor, daß sie einander anlachten. Sie verließ fast nie das Haus, und von denen, die es besuchten, war ihr nur einer willkommen – Peter. Man konnte sich nicht zärtlicher, vorsichtiger und zugleich ernster benehmen als Graf Besuchow. Natalie fühlte das unwillkürlich, und dieser Umgang gewährte ihr daher großes Vergnügen.
    Anfang Juli verbreiteten sich in Moskau immer mehr beunruhigende Gerüchte über den Verlauf des Krieges. Man sprach von einem Aufruf das Kaisers an das Volk und von der Ankunft des Kaisers in Moskau. Da aber bis zum 11. Juli das Manifest und der Aufruf nicht erschienen, so bildeten sich auch darüber und über die allgemeine Lage Rußlands

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